Die Bundesversammlung war im Wesentlichen eine Ansammlung von Pleiten, Pech und Pannen. Da trafen sich Politik 1.0 mit dem web2.0.
Die Reihe der Faux-pas’ begann bereits am Vorabend bei der Reichstagsillumination. Abgesehen davon, dass diese recht bescheiden daher kam – verglichen mit dem Hype der darum gemacht wurde -, gab es zwei Fehlgriffe, von denen mindestens einer nicht als bloßes Versehen zu entschuldigen war:
Die Veranstaltung wurde mit der Ouvertüre von Wagners Meistersingern eröffnet. Schöne Musik. Und Musik ist ja auch erst einmal unschuldig. Sie kann nichts für den Missbrauch und Gebrauch, der ihr widerfährt. Aber dennoch ist die Verwendung Teil ihrer Rezeptionsgeschichte und sie erhält dadurch eine konnotative Bedeutung. Bei solchen hochoffiziellen Anlässen sollte man in Deutschland alle Zweideutigkeiten vermeiden. Warum also nichts aus Händels Wassermusik oder Feuerwerksmusik? Eine andere Ouvertüre von Wagner? Nein, nicht die Götterdämmerung. Etwas von Beethoven? Warum um Gottes Willen ausgerechnet die Meistersinger?
Um die Illumination dann noch ins rechte Licht zu rücken, sagte der Bundestagspräsident Lammert in seiner Rede (vgl. dpa-Meldung, vom 22.05.09):
«Was heute Abend hier stattfindet, ist kein Spektakel. Wir machen hier heute Abend nicht Reichstag in Flammen. Sondern wir wollen dieses Gebäude mit einer Lösung versehen, die der Würde des Gebäudes, dem städtebaulichen Rang gerecht wird.» Ich dachte erst, ich hätte mich verhört. Ich weiß, wir kennen alle den Rhein in Flammen und verplappert haben wir uns schon alle einmal. Deshalb Schwamm drüber.
Der Bundestag hat bei der Bundesversammlung die erste zu bewältigende Herausforderung gut gemeistert. Die NPD/DVU-Delegierten hatten mit 3 Anträgen versucht, sich den Weg zum Redepult des Plenarsaales zu erstreiten. Hier hat die Zusammenarbeit der demokratischen Fraktionen Schaden vom Parlament erfolgreich abgewendet. Das war gut so!
Aber dann ging nach dem Wahlgang alles schief und das Protokoll lief aus dem Ruder. Erst kam der Präsident ewig nicht zurück aus seinem Amtssitz. Hätte er nicht auch in einem Raum im Reichstagsgebäude auf das Ergebnis warten können?
Dann verselbstständigten sich die Programmteile der Veranstaltung. Die Kapelle und die Blumensträuße signalisierten Köhlers Erfolg im ersten Wahlgang. Johlen und Schenkelklopfen bei Union und FDP nahmen der Veranstaltung ihre Würde. Alle wussten nun Bescheid. Das Wahlergebnis war nun für alle gelüftet.
Bild: Deutscher Bundestag/twitter (Montage: Büro Volker Beck)
Unbemerkt von den meisten hatten einige Abgeordnete das Ergebnis bereits 10 Minuten vorher per twitter verbreitet. Selbstverständlich werden bei solchen Veranstaltungen die Fraktionsspitzen von ihren Schriftführern frühzeitig unterrichtet. Das geht auch in Ordnung. Dennoch lässt man sich dann nichts anmerken und wartet ruhig die offizielle Verkündung durch den Bundestagspräsidenten ab.
Bei Twitter und in den Printmedien wird nun lebhaft diskutiert, wie man das zu bewerten hat. Twitter ist eine Möglichkeit zeitnah die Öffentlichkeit direkt zu unterrichten.
Für mich ist dabei klar: Ob Schriftführer (Stimmauszähler) oder nicht: Twitter ist nicht Wikileaks. Was offline nicht ok ist, wird online nicht schon dadurch besser, dass es im Internet stattfindet.
Ich wusste das Ergebnis schon eine ganze Zeit vor den ersten Tweets. Aber ich hatte peinlich genau darauf geachtet, dass unser Blumenstrauß seinen Weg in den Plenarsaal findet, ohne dass Kameras vor Bekanntgabe des Ergebnisses Schlüsse aus solchen Bildern ziehen können.
Man nimmt durch solche protokollarischen Fehler dem parlamentarischen Akt ein Stück seiner Bedeutung, der Wahl des Bundespräsidenten, des höchsten Amtes im Staate, einen Teil ihrer Würde und entwertet die Veranstaltung.
Ich weiß ein Teil der Internetgemeinde ist stolz (http://philstift01.blogspot.com/2009/05/twitter-hat-es-mal-wieder-zuerst-gewut.html), wenn twitter schneller als dpa ist und feiert dies als Transparenz. Aber was ist der Gewinn? Man kennt das Ergebnis 15 Minuten früher als der Rest der Welt. Na und?
Transparenz ist gut. Aber das Ergebnis wollte sowieso niemand dauerhaft geheim halten. Ich weiss und schätze, dass die Twittergemeinde viel über die Chancen und die Bedingungen von Kommunikation im web2.0 reflektiert. Deshalb gebe ich zu bedenken: Geschwindigkeit und Quantität sind dabei die geringsten Vorteile dieser neuen Kommunikationskanäle. Deshalb sollte man sich noch einmal fragen, welchen Gewinn solche Vorab-Indiskretionen für die Demokratie haben. Ich meine: Keine.
Das einzig Gute an dem Vorgang: Auch die Nicht-Twitterer entdecken den Kanal als Faktor. Aber die Politik wie die Community müssen diskutieren, was dabei der Demokratie wirklich nützt. Twitter erhöht den Druck auf die Politik nur, den die etablierten Medien ohnehin schon machen. Wir haben es als Akteure selbst in der Hand, was wir wann in die Welt hinausposaunen. Die Frage, die wir uns stellen müssen, bleibt die gleiche: Cui bono?