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FAQ zum Twitterkönig*

Volker Beck twitter im Bundestag

Volker Beck twittert im Bundestag (Foto: Kohlmeier)

Regelmäßig erreichen mein Büro die gleichen Fragen. Warum twittern Sie? Sind Sie selbst bei Facebook oder beispielsweise auch: Welche Chancen und Gefahren haben neue Medien. Auf die gängigen Fragen Finden Sie hier die Antworten.
[*Der Titel des Twitter-König wurde von heise.de verliehen]

Welche Web-2.0-Kanäle nutzen Sie? Und seit wann?

2005 bot ich als erster Politiker eine regelmäßige online-Sprechstunde bei GayRomeo an. Seit 2008 nutze ich vor allem Facebook und Twitter. Seit 2010 nutze ich – oder in diesem Fall besser gesagt mein Team – auch Youtube . Außerdem betreibe ich mein eigenes Blog: BECKSTAGE. FlickR habe ich 2010 mal ausprobiert, aber nicht durchgehalten. Instagram habe ich noch nicht ausprobiert.

Twittern sie selbst? Weiterlesen

#candystorm für Claudia – sweeter than candy

Foto: .curt via Flickr / Attribution 2.0 Generic (CC BY 2.0)

Foto: .curt via Flickr / Attribution 2.0 Generic (CC BY 2.0)

Die Medien sind irritiert. Im Internet haben Grüne und ihre SympathisantInnen über Nacht die Stimmung gedreht.

Claudia hat eine Abstimmung verloren. Die Partei hat unter Gesichtspunkten der Ausgewogenheit ein Duo für die Bundestagswahl gewählt, bei dem sie nicht dabei ist. Und das, obwohl sie die Entscheidung erzwungen hat. Jetzt hat sie verloren. Und nach den Gesetzen der Medien muss sie jetzt in Grund und Boden geschrieben werden. Weiterlesen

Strg + F = inhaltliche Leere bei den Piraten

Haben Sie sich schon mal den Spaß erlaubt, das Grundsatzprogramm der Piratenpartei Deutschland auf Inhalte zu testen? Strg + F, das Ergebnis ist erschreckend. Nach dem medialen Hype stellen nun immer mehr Menschen fragen, was von den Freiheits- und Transparenzworthülsen übrig bleibt, nachdem sie frech abgefeuert wurden.

Frauen? Bei den Piraten? Ein schwieriges Thema. Deshalb taucht der Begriff erst garnicht im Programm auf. Logischer Weise findet man auch keine Aussage zur Frauenquote oder Feminismus.

Die Piraten wollen zwar auf „generative und regenerative Energiequellen“ umsteigen. Wie sie zur Atomkraft stehen, sagen sie nicht.  Grüne sagen: Atomkraft? Nein Danke! Weiterlesen

Schutzfristen radikal kürzen

Das Urheberrecht reflektiert die Neuerungen der Digitalisierung und des Internets nicht. Eine Urheberrechtsreform muss deshalb nicht nur den Konflikt zwischen UrheberInnen, VerwerterInnen und NutzerInnen auflösen, sondern auch die UrherberInnen gegenüber den VerwerterInnen stärken. Eine Urheberrechtsreform ist deshalb mehr als nur Netzpolitik. Jüngst wurde ich bei Heise und andernorts wegen meines Streichungsantrags D-02-526 bei dem Antrag „Offenheit, Freiheit, Teilhabe – die Chancen des Internets nutzen – den digitalen Wandel grün gestalten!“ kritisiert, der auf der kommenden Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Kiel verabschiedet werden wird.

Konkret möchte ich folgende Zwei Sätze im Kapitel Remix-Kultur und transformatorische Nutzung in den Zeilen 526-529 streichen:

Um eine Kultur der transformatorischen Nutzung zu ermöglichen, ist es Ziel unserer Politik, soviel Wissen und kulturelle Güter wie möglich zur freien Nutzung bereitzustellen. Deswegen wollen wir, dass Verwertungsgesellschaften Creative Commons Lizenzen zulassen, damit die Künstler freier wählen können, welche Verwertungswege sie einschlagen wollen. Eine deutliche Verkürzung bzw. Flexibilisierung der Schutzfristen z.B. auf fünf Jahre muss mit der Möglichkeit der Neuverhandlung einhergehen. Das bedeutet: Eine fünfjährige Schutzfrist ab Veröffentlichung mit anschließender, gebührenpflichtiger mehrmaliger Verlängerungsoption. Wir wollen eine Schrankenausweitung für Blinde, so dass sie leichter in den Genuss von Büchern kommen können.

Leider hat weder Peter Mühlbauer, noch sonst einE KritikerIn zu dem Streichungsantrag bei mir nach meiner Motivation gefragt. Ich will hier aber nicht über die Qualität von Meinungsartikeln und Blogs streiten.

Warum streichen?
Ich bin Verfechter einer radikalen Verkürzung der Schutzfristen. Gemeinsam mit Malte Spitz, Konstantin von Notz und vielen anderen haben wir bereits in unserem gemeinsamen Diskussionspapier „Grüne Urheberrechtspolitik im 21. Jahrhundert“ die „Entmonopolisierung und beschleunigte Teilhabe durch Verkürzung von Schutzfristen“ gefordert. Schutzfristen im Urheberrecht können bedeuten, dass das Recht zu kommerziellen Verwertung und damit u.U. auch die Veröffentlichung sowie auch die nichtkommerzielle Nutzung der Werke für eine bestimmte Zeit ausschließlich beim Erstveröffentlicher bleiben. Wegen überzogen langen Schutzfristen (70 Jahre nach dem Tode des/der UrheberIn) und einer fehlenden verpflichtenden Registrierung der Rechteinhaber können mehr und mehr „verwaiste Werke“ entstehen (d.h.  es ist unklar, ob und welche Schutzrechte bestehen und wo eine Genehmigung zur Verwendung eingeholt werden kann). Diese Schutzfristen behindern wissenschaftlichen, künstlerischen und kulturellen Fortschritt und sind ein Prellbock für die Kreativität in ganz vielen Bereichen. Die bloße Verkürzung auf die hier vorgeschlagenen fünf Jahre löst deshalb das Problem nicht, dass „verwaiste Werke“ entstehen, da die dafür notwendige Registrierungsstelle in dem Antrag fehlt. Zudem halte ich eine Verkürzung der Schutzfrist auf fünf Jahre zu Lebzeiten des Künstlers oder der Künstlerin für realitätsfremd.Dass beispielsweise mein Kollege Hans-Christian Ströbele jedes Mal daran verdient, wenn im Radio oder Fernsehen der legendäre „Tooor, Tooor, Tooor. Tor für Deutschland!“-Schrei der WM 1954 wiederholt wird, verstehe ich nicht – auch wenn ich es ihm persönlich gönne (er spendet ja die Einnahmen).

Deshalb möchte ich nochmals auf die Begründung unseres Streichungsantrags verweisen, der von seinen AntragstellerInnen unter Umständen aus unterschiedlicher Motivation heraus gestellt wurde:

Angesichts des derzeit noch rechtlich ungelösten Umgangs mit sogenannten „verwaisten Werken“ im Zuge des Digitalisierungsverfahrens (z.B. der Deutschen Digitalen Bibliothek und Europeana) sind Reformen des Urheberrechtes dringend erforderlich. Allerdings gibt es bezüglich der politischen Ausgestaltung einer Flexibilisierung von Schutzfristen unterschiedliche Auffassungen. Diese müssen im Hinblick auf die komplexe Thematik in einer dafür eingerichteten Arbeitsgruppe diskutiert und abschließend geklärt werden.

Das Urheberrecht ist ein juristisch komplexes Gebilde, dessen Änderungen zudem gegen eine starke Lobby erkämpft werden müssen, um ein für UrheberInnen und NutzerInnen zugleich faire Lösungen zu finden. In diesem Konflikt zwischen UrheberInnen, VerwerterInnen und NutzerInnen treten wir Grünen seit langem für die gesetzliche Einführung einer Kulturflatrate. Nun stehen wir bei den Schutzfristen erneut vor einem juristischen Giganten, dem man durch Schnellschüsse nicht Herr werden kann. Ich möchte deshalb gerne in meiner Partei die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl dafür nutzen, in einer Arbeitsgruppe nach geeigneten Möglichkeiten der Reformierung zu suchen. Ich verstehe und teile die Argumente für eine radikale Verkürzung der Schutzfristen, sehe aber auch die Sorgen und Nöte der UrheberInnen.

Gegen die Kritik an unseren Reformvorstellungen habe ich mich in einem Schreiben gemeinsam mit Konstantin v. Notz, Claudia Roth und Jerzy Montag hier gewandt.

Meckern statt Machen ist keine Netzpolitik, sondern unpolitisch!
Statt nur davon zu reden
, die Urheberrechtsfragen auf die Agenda der Parlamente heben zu wollen, sind wir Grüne seit Jahren damit beschäftigt. Es ist mir zu absolutistisch, hier nur an eine einzig richtige Wahrheit zu glauben, wenn noch gar nicht alle Optionen auf dem Tisch liegen.

Zuletzt möchte ich auf das Bundestagswahlprogramm der Grünen aus dem Jahr 2009 aufmerksam machen:

Wie schon im Patentrecht treten wir ein für grundlegende Reformen der bestehenden Urheberrechtsgesetzgebung in Deutschland und der EU sowie der übergeordneten Institutionen und Verträge. Wir drängen in eine Richtung, die zuvorderst BürgerInnen, KünstlerInnen, ForscherInnen, Schulen und Universitäten nützt und nicht der Medien- und Geräteindustrie oder Verlagsgiganten. Die Notwendigkeit einer Vergütung für die Schaffung geistiger Werke erkennen wir an. Pauschale Vergütungsmodelle stellen daher die Zukunft für einen fairen Interessenausgleich im digitalen Raum dar. Kernstück sind dabei die freie digitale Privatkopie und eine faire Lösung beim Urheberrecht im Internet. Diese Lösung muss in erster Linie Künstlerinnen und Künstler angemessen vergüten sowie Nutzerinnen und Nutzer nicht pauschal kriminalisieren, wenn sie Angebote downloaden. Die Einführung einer Kulturflatrate, die die nicht-kommerzielle Nutzung von digitalen Kulturgütern ermöglicht, kann ein richtiger Weg dahin sein.

 

Tweet, tweet, tweet, wir haben uns alle lieb.

Auf dem Weg nach Duschanbe auf meiner Delegationsreise nach Tadschikistan konnte ich während des Flugs über die netzpolitische Schwimelei der Union nachdenken (etwas verspätet jetzt im Netz, da hier Nertzanschluss noch keine Selbstverständlichkeit ist, im Gegenteil!). In den Sozialen Netzwerken machen diese dorobaeraltmaiers einen auf gute Laune und digitale Avantgarde. Politisch machen sie für die Freiheit im Netz keinen Finger krum. Man werfe nur einen Blick in die „Internet-Equete“. Hier blogge ich meine Sorgen um die Augenwischerei der Konservativen auf dem Weg in eine große Koaltion. Und wenn alles schief läuft, sind die Piraten objektiv betrachtet (Nolens volens) dabei ihre Steigbügelhalter. Weiterlesen

Gestörtes Twittern

Die SPD (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,627468,00.html) will prüfen, ob der Bundestag das Twittern mit Störsendern unterbinden kann. Klingt absurd und ist es auch; dahinter verbirgt sich aber mehr. Dieser Vorstoß ist Ausdruck einer tiefgreifenden Verunsicherung durch die Kommunikationswege des web2.0. Traditioneller Journalismus und ein Teil der Politik sind verstört.

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Bild: Deutscher Bundestag/twitter (Montage: Büro Volker Beck)

Einerseits spürt die Politik1.0, dass da etwas droht: Kontrollverlust. Zu Recht. Wenn die Abgeordneten frei im Netz kommunizieren, verliert die Steuerung der Pressestellen und damit die politische Führung einen Teil ihrer Macht. Ähnliches gilt auch für die herkömmlichen Medien. Man kann einen Teil der Öffentlichkeit auch jenseits der zentral gesteuerten Pressemitteilung erreichen – ganz direkt. Noch ist die Reichweite des Microbloggings in Deutschland bei twitter zwar sehr begrenzt, aber wenn die Medien beginnen, sich aus den Kommentaren im Netz zu bedienen – was ihnen ja jederzeit frei steht – bekommt das Twittern eine andere Qualität als die altbekannten, statischen Webseiten der Politiker.

Andererseits dokumentiert dieser rabulistische Vorschlag eine mangelnde Reflektion von politischer Kommunikation. Wer etwas ausplaudert, was als vertraulich oder geheim eingestuft oder vereinbart ist, sei es aus ordentlichen Gremien des Bundestages oder auch den Beratungsgremien einer Partei oder Fraktion, begeht einen Vertrauensbruch, unter Umständen sogar eine Straftat (http://www.juraforum.de/gesetze/StGB/95/95_StGB_offenbaren_von_staatsgeheimnissen.html). Das ist aber unabhängig davon, ob der Vertraulichkeitsbruch oder Geheimnisverrat offline oder online geschieht, der Fall.

Nun leidet die politische Kultur generell an Durchstechereien, dem Weitergeben von Informationen oder auch dem Manipulieren durch Informationen über die Presse, meist unter Geheimhaltung der Quelle. Dagegen vorzugehen, kann im Einzelfall durchaus legitim sein.

Ein Beispiel aus dem wirklichen Berliner-Leben-1.0: Ich werde nie vergessen, wie mich bei internen rot-grünen Verhandlungen ein Minister anschrie, weil ein Verhandlungspapier seines Ministeriums während der Verhandlungen im Wortlaut über Agentur lief. Er beschuldigte unsere Verhandlungsgruppe der gezielten Indiskretion. Damit wollte er Pflöcke einrammen. Nun könne er nicht mehr zurück – wegen des sonst drohenden Gesichtsverlustes. Ich war konsterniert. Woher kam diese Meldung? Später zeigte mir der Agenturjournalist sein Fax. Absender: Pressestelle des Ministeriums. So kann man mit Informationsweitergabe Druck auf politische Entscheidungen aufbauen. Das gab es also schon immer. Nur dass man bei twitter immer Ross und Reiter kennt.

Von so einem Vorgang unterscheiden sich die zwei Bundestagstwitteraufreger bezüglich der Kommunikationsstruktur doch erheblich:

– Die Vorhab-Veröffentlichung des Wahlergebnisses der Bundespräsidentenwahl durch eine Schriftführerin (CDU) und zwei SPD-MdBs war nicht ok. Denn twitter ist nicht Wikileaks (http://beckstage.volkerbeck.de/2009/05/26/twitter-ist-nicht-wikileaks/) und was offline nicht ok ist, bleibt auch online ein Fehler. Aber die 3 standen durch die Twitterveröffentlichung ja immerhin öffentlich mit ihrem Namen dafür ein (mehr oder minder einsichtig). Denn das unterscheidet die twitter-Kommunikation ja prinzipiell von jeder anonymen Durchstecherei: Was man geschrieben hat, muss man hinterher vor den Followern und den Kollegen auch verantworten können. Deshalb gilt: Erst denken und dann twittern.

– Die SPD-Kollegin Gabriele Hiller-Ohm (http://twitter.com/GabiHillerOhm) hat es nach Ansicht der SPD-Fraktionsführung nun endgültig zu weit getrieben. Sie twitterte aus der Fraktionssitzung: „Steinbrück wirbt für Schuldenbremse“. Und: „Noch 30 Wortmeldungen zur Schuldenbremse.“ Welch Banalität! Welche sozialdemokratischen Staatsgeheimnisse hat sie damit ausgeplaudert? Die harsche Reaktion der SPD-Führung war daher unsouverän und ein Sturm im Wasserglas. Erfährt doch jeder Journalist im Hintergrund mehr Internas und manches sogar schon per SMS aus den Sitzungen.

Mit Störsendern wird die Politik die Politikkommunikation im web2.0 nicht stoppen können. Und das ist gut auch so!

Wir müssen vielmehr sehen, welche Chancen für Partizipation diese neuen Kommunikationskanäle bieten. Und wie wir mit diesen Möglichkeiten verantwortlich umgehen. Dazu gehört auch die interne und öffentliche Kritik an Regelbrüchen. Kommunikationsdisziplin statt Kommunikationsverbot ist die Antwort. Die Idee der Störsender ist so intelligent wie die Internetsperren der Ursula von der Leyen: Hilflos, scheinbar robust und nicht überlegt.

Twitter ist nicht Wikileaks

Die Bundesversammlung war im Wesentlichen eine Ansammlung von Pleiten, Pech und Pannen. Da trafen sich Politik 1.0 mit dem web2.0.

Die Reihe der Faux-pas’ begann bereits am Vorabend bei der Reichstagsillumination. Abgesehen davon, dass diese recht bescheiden daher kam – verglichen mit dem Hype der darum gemacht wurde -, gab es zwei Fehlgriffe, von denen mindestens einer nicht als bloßes Versehen zu entschuldigen war:
Die Veranstaltung wurde mit der Ouvertüre von Wagners Meistersingern eröffnet. Schöne Musik. Und Musik ist ja auch erst einmal unschuldig. Sie kann nichts für den Missbrauch und Gebrauch, der ihr widerfährt. Aber dennoch ist die Verwendung Teil ihrer Rezeptionsgeschichte und sie erhält dadurch eine konnotative Bedeutung. Bei solchen hochoffiziellen Anlässen sollte man in Deutschland alle Zweideutigkeiten vermeiden. Warum also nichts aus Händels Wassermusik oder Feuerwerksmusik? Eine andere Ouvertüre von Wagner? Nein, nicht die Götterdämmerung. Etwas von Beethoven? Warum um Gottes Willen ausgerechnet die Meistersinger?

Um die Illumination dann noch ins rechte Licht zu rücken, sagte der Bundestagspräsident Lammert in seiner Rede (vgl. dpa-Meldung, vom 22.05.09):
«Was heute Abend hier stattfindet, ist kein Spektakel. Wir machen hier heute Abend nicht Reichstag in Flammen. Sondern wir wollen dieses Gebäude mit einer Lösung versehen, die der Würde des Gebäudes, dem städtebaulichen Rang gerecht wird.» Ich dachte erst, ich hätte mich verhört. Ich weiß, wir kennen alle den Rhein in Flammen und verplappert haben wir uns schon alle einmal. Deshalb Schwamm drüber.

Der Bundestag hat bei der Bundesversammlung die erste zu bewältigende Herausforderung gut gemeistert. Die NPD/DVU-Delegierten hatten mit 3 Anträgen versucht, sich den Weg zum Redepult des Plenarsaales zu erstreiten. Hier hat die Zusammenarbeit der demokratischen Fraktionen Schaden vom Parlament erfolgreich abgewendet. Das war gut so!

Aber dann ging nach dem Wahlgang alles schief und das Protokoll lief aus dem Ruder. Erst kam der Präsident ewig nicht zurück aus seinem Amtssitz. Hätte er nicht auch in einem Raum im Reichstagsgebäude auf das Ergebnis warten können?

Dann verselbstständigten sich die Programmteile der Veranstaltung. Die Kapelle und die Blumensträuße signalisierten Köhlers Erfolg im ersten Wahlgang. Johlen und Schenkelklopfen bei Union und FDP nahmen der Veranstaltung ihre Würde. Alle wussten nun Bescheid. Das Wahlergebnis war nun für alle  gelüftet.

twitter-bundesversammlung

Bild: Deutscher Bundestag/twitter (Montage: Büro Volker Beck)

Unbemerkt von den meisten hatten einige Abgeordnete das Ergebnis bereits 10 Minuten vorher per twitter verbreitet. Selbstverständlich werden bei solchen Veranstaltungen die Fraktionsspitzen von ihren Schriftführern frühzeitig unterrichtet. Das geht auch in Ordnung. Dennoch lässt man sich dann nichts anmerken und wartet ruhig die offizielle Verkündung durch den Bundestagspräsidenten ab.

Bei Twitter und in den Printmedien wird nun lebhaft diskutiert, wie man das zu bewerten hat. Twitter ist eine Möglichkeit zeitnah die Öffentlichkeit direkt zu unterrichten.

Für mich ist dabei klar: Ob Schriftführer (Stimmauszähler) oder nicht: Twitter ist nicht Wikileaks. Was offline nicht ok ist, wird online nicht schon dadurch besser, dass es im Internet stattfindet.

Ich wusste das Ergebnis schon eine ganze Zeit vor den ersten Tweets. Aber ich hatte peinlich genau darauf geachtet, dass unser Blumenstrauß seinen Weg in den Plenarsaal findet, ohne dass Kameras vor Bekanntgabe des Ergebnisses Schlüsse aus solchen Bildern ziehen können.

Man nimmt durch solche protokollarischen Fehler dem parlamentarischen Akt ein Stück seiner Bedeutung, der Wahl des Bundespräsidenten, des höchsten Amtes im Staate, einen Teil ihrer Würde und entwertet die Veranstaltung.

Ich weiß ein Teil der Internetgemeinde ist stolz (http://philstift01.blogspot.com/2009/05/twitter-hat-es-mal-wieder-zuerst-gewut.html), wenn twitter schneller als dpa ist und feiert dies als Transparenz. Aber was ist der Gewinn? Man kennt das Ergebnis 15 Minuten früher als der Rest der Welt. Na und?

Transparenz ist gut. Aber das Ergebnis wollte sowieso niemand dauerhaft geheim halten. Ich weiss und schätze, dass die Twittergemeinde  viel über die Chancen und die Bedingungen von Kommunikation im web2.0 reflektiert. Deshalb gebe ich zu bedenken: Geschwindigkeit und Quantität sind dabei die geringsten Vorteile dieser neuen Kommunikationskanäle. Deshalb sollte man sich noch einmal fragen, welchen Gewinn solche Vorab-Indiskretionen für die Demokratie haben. Ich meine: Keine.

Das  einzig Gute an dem Vorgang: Auch die Nicht-Twitterer entdecken den Kanal als Faktor. Aber die Politik wie die Community müssen diskutieren, was dabei der Demokratie wirklich nützt. Twitter erhöht den Druck auf die Politik nur, den die etablierten Medien ohnehin schon machen. Wir haben es als Akteure selbst in der Hand, was wir wann in die Welt hinausposaunen. Die Frage, die wir uns stellen müssen, bleibt die gleiche: Cui bono?