Schutzfristen radikal kürzen

Das Urheberrecht reflektiert die Neuerungen der Digitalisierung und des Internets nicht. Eine Urheberrechtsreform muss deshalb nicht nur den Konflikt zwischen UrheberInnen, VerwerterInnen und NutzerInnen auflösen, sondern auch die UrherberInnen gegenüber den VerwerterInnen stärken. Eine Urheberrechtsreform ist deshalb mehr als nur Netzpolitik. Jüngst wurde ich bei Heise und andernorts wegen meines Streichungsantrags D-02-526 bei dem Antrag „Offenheit, Freiheit, Teilhabe – die Chancen des Internets nutzen – den digitalen Wandel grün gestalten!“ kritisiert, der auf der kommenden Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Kiel verabschiedet werden wird.

Konkret möchte ich folgende Zwei Sätze im Kapitel Remix-Kultur und transformatorische Nutzung in den Zeilen 526-529 streichen:

Um eine Kultur der transformatorischen Nutzung zu ermöglichen, ist es Ziel unserer Politik, soviel Wissen und kulturelle Güter wie möglich zur freien Nutzung bereitzustellen. Deswegen wollen wir, dass Verwertungsgesellschaften Creative Commons Lizenzen zulassen, damit die Künstler freier wählen können, welche Verwertungswege sie einschlagen wollen. Eine deutliche Verkürzung bzw. Flexibilisierung der Schutzfristen z.B. auf fünf Jahre muss mit der Möglichkeit der Neuverhandlung einhergehen. Das bedeutet: Eine fünfjährige Schutzfrist ab Veröffentlichung mit anschließender, gebührenpflichtiger mehrmaliger Verlängerungsoption. Wir wollen eine Schrankenausweitung für Blinde, so dass sie leichter in den Genuss von Büchern kommen können.

Leider hat weder Peter Mühlbauer, noch sonst einE KritikerIn zu dem Streichungsantrag bei mir nach meiner Motivation gefragt. Ich will hier aber nicht über die Qualität von Meinungsartikeln und Blogs streiten.

Warum streichen?
Ich bin Verfechter einer radikalen Verkürzung der Schutzfristen. Gemeinsam mit Malte Spitz, Konstantin von Notz und vielen anderen haben wir bereits in unserem gemeinsamen Diskussionspapier „Grüne Urheberrechtspolitik im 21. Jahrhundert“ die „Entmonopolisierung und beschleunigte Teilhabe durch Verkürzung von Schutzfristen“ gefordert. Schutzfristen im Urheberrecht können bedeuten, dass das Recht zu kommerziellen Verwertung und damit u.U. auch die Veröffentlichung sowie auch die nichtkommerzielle Nutzung der Werke für eine bestimmte Zeit ausschließlich beim Erstveröffentlicher bleiben. Wegen überzogen langen Schutzfristen (70 Jahre nach dem Tode des/der UrheberIn) und einer fehlenden verpflichtenden Registrierung der Rechteinhaber können mehr und mehr „verwaiste Werke“ entstehen (d.h.  es ist unklar, ob und welche Schutzrechte bestehen und wo eine Genehmigung zur Verwendung eingeholt werden kann). Diese Schutzfristen behindern wissenschaftlichen, künstlerischen und kulturellen Fortschritt und sind ein Prellbock für die Kreativität in ganz vielen Bereichen. Die bloße Verkürzung auf die hier vorgeschlagenen fünf Jahre löst deshalb das Problem nicht, dass „verwaiste Werke“ entstehen, da die dafür notwendige Registrierungsstelle in dem Antrag fehlt. Zudem halte ich eine Verkürzung der Schutzfrist auf fünf Jahre zu Lebzeiten des Künstlers oder der Künstlerin für realitätsfremd.Dass beispielsweise mein Kollege Hans-Christian Ströbele jedes Mal daran verdient, wenn im Radio oder Fernsehen der legendäre „Tooor, Tooor, Tooor. Tor für Deutschland!“-Schrei der WM 1954 wiederholt wird, verstehe ich nicht – auch wenn ich es ihm persönlich gönne (er spendet ja die Einnahmen).

Deshalb möchte ich nochmals auf die Begründung unseres Streichungsantrags verweisen, der von seinen AntragstellerInnen unter Umständen aus unterschiedlicher Motivation heraus gestellt wurde:

Angesichts des derzeit noch rechtlich ungelösten Umgangs mit sogenannten „verwaisten Werken“ im Zuge des Digitalisierungsverfahrens (z.B. der Deutschen Digitalen Bibliothek und Europeana) sind Reformen des Urheberrechtes dringend erforderlich. Allerdings gibt es bezüglich der politischen Ausgestaltung einer Flexibilisierung von Schutzfristen unterschiedliche Auffassungen. Diese müssen im Hinblick auf die komplexe Thematik in einer dafür eingerichteten Arbeitsgruppe diskutiert und abschließend geklärt werden.

Das Urheberrecht ist ein juristisch komplexes Gebilde, dessen Änderungen zudem gegen eine starke Lobby erkämpft werden müssen, um ein für UrheberInnen und NutzerInnen zugleich faire Lösungen zu finden. In diesem Konflikt zwischen UrheberInnen, VerwerterInnen und NutzerInnen treten wir Grünen seit langem für die gesetzliche Einführung einer Kulturflatrate. Nun stehen wir bei den Schutzfristen erneut vor einem juristischen Giganten, dem man durch Schnellschüsse nicht Herr werden kann. Ich möchte deshalb gerne in meiner Partei die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl dafür nutzen, in einer Arbeitsgruppe nach geeigneten Möglichkeiten der Reformierung zu suchen. Ich verstehe und teile die Argumente für eine radikale Verkürzung der Schutzfristen, sehe aber auch die Sorgen und Nöte der UrheberInnen.

Gegen die Kritik an unseren Reformvorstellungen habe ich mich in einem Schreiben gemeinsam mit Konstantin v. Notz, Claudia Roth und Jerzy Montag hier gewandt.

Meckern statt Machen ist keine Netzpolitik, sondern unpolitisch!
Statt nur davon zu reden
, die Urheberrechtsfragen auf die Agenda der Parlamente heben zu wollen, sind wir Grüne seit Jahren damit beschäftigt. Es ist mir zu absolutistisch, hier nur an eine einzig richtige Wahrheit zu glauben, wenn noch gar nicht alle Optionen auf dem Tisch liegen.

Zuletzt möchte ich auf das Bundestagswahlprogramm der Grünen aus dem Jahr 2009 aufmerksam machen:

Wie schon im Patentrecht treten wir ein für grundlegende Reformen der bestehenden Urheberrechtsgesetzgebung in Deutschland und der EU sowie der übergeordneten Institutionen und Verträge. Wir drängen in eine Richtung, die zuvorderst BürgerInnen, KünstlerInnen, ForscherInnen, Schulen und Universitäten nützt und nicht der Medien- und Geräteindustrie oder Verlagsgiganten. Die Notwendigkeit einer Vergütung für die Schaffung geistiger Werke erkennen wir an. Pauschale Vergütungsmodelle stellen daher die Zukunft für einen fairen Interessenausgleich im digitalen Raum dar. Kernstück sind dabei die freie digitale Privatkopie und eine faire Lösung beim Urheberrecht im Internet. Diese Lösung muss in erster Linie Künstlerinnen und Künstler angemessen vergüten sowie Nutzerinnen und Nutzer nicht pauschal kriminalisieren, wenn sie Angebote downloaden. Die Einführung einer Kulturflatrate, die die nicht-kommerzielle Nutzung von digitalen Kulturgütern ermöglicht, kann ein richtiger Weg dahin sein.

 

3 Gedanken zu „Schutzfristen radikal kürzen

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  2. Mario Giordano

    Sehr geehrter Volker Beck,
    wie Sie sehr richtig schreiben, ist das Urheberrecht ein äußerst komplexes Geflecht, das die Verwertungsrechte in der nicht weniger komplexen Kulturbranche regelt. Den Streichungsantrag des unsäglichen und geradezu zynischen Fünf-Jahre-Passus im Leitantrag zum „Digitalen Wandel“ begrüße ich. Ich bin – als Autor von Romanen und Drehbüchern, der hauptberuflich von den langfristigen Erträgen dieser Arbeit lebt und nebenbei bislang als Stammwähler der Grünen – durchaus für eine Neugestaltung des Urheberrechts, aus ähnlichen Gründen wie Neelie Kroes sie in ihrem Grundsatzpapier bereits skizziert hat. Dennoch fordere ich Sie auf, sich vehement und eindeutig für den Schutz von Künstlern und Kulturschaffenden und für ein starkes Urheberrecht zu positionieren, das künstlerische Werke nicht zum Copy&Paste-Freiwild macht.
    Als Autor habe ich zudem ein existenzielles Interesse daran, dass die Verwertungsrechte von Verlagen und Filmproduktionen gewahrt blieben, denn meine Arbeit ist nur im Zusammenspiel mit diesen Partnern möglich.

    Ja, Privatkopien müssen ebenso möglich sein wie nicht-kommerzielle Nutzung. Das ist ja auch schon digitale Realität. Und wo nicht, muss es geregelt werden. Sobald künstlerische Werke jedoch kommerziell genutzt werden, muss der Urheber fair daran beteiligt werden. Ihre bislang im Raum stehende ‚Kulturflatrate‘ ist dazu leider ein stumpfes und am Urheber völlig vorbei zielendes Instrument. Verdienen werden daran wieder nur die großen Content-Provider. Wie soll die Kulturflatrate denn aussehen? Eine Art Zusatzsteuer? Ein Solidaritätsbeitrag für die Kunst? Wer zahlt da ein, wie soll abgerechnet werden?

    Das Wort ‚Urheberrecht‘ ist inzwischen zu einem Hasswort geworden an dem sich ein seltsamer und realitätsferner Sozialneid gegen Künstler entzündet. Ihr Beispiel von Christian Ströbele illustriert das sehr schön. Künstler haben einmal im Leben eine klasse Idee – muss gar nichts Großes sein – und verdienen sich für den Rest ihres Lebens daran einen Ast. Hallo?
    Tatsächlich sieht die wirtschaftliche Situation der meisten ‚Kreativen‘ doch völlig anders aus.

    Populistisches Krakeel, garniert mit floskelhaften Beteuerungen (wie im Leitantrag), auf der Seite der ‚Kreativen‘ zu stehen, sind da wenig hilfreich und nähren den Eindruck, dass die Grünen nur dem vermeintlichen Zeitgeist und den Wählern der Piraten hinterrennen.
    Ich fordere Sie dringend auf, sich intensiv mit Künstlern und Kulturschaffenden aller Bereiche auseinander zu setzen, um ein klares, faires und verständliches Modell zu entwickeln, das Künstler nicht ins Mittelalter des Urheberrechts (Bannflüche in Büchern gegen Raubkopierer als einzigen Schutz) zurückwirft und das die Grünen für Urheber künstlerischer Werke weiterhin wählbar macht.

    Beste Grüße,

    -mario giordano

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