Schlagwort-Archiv: Glaubensfreiheit

…dann soll man halt das ganze Interview lesen.

Im Internet wird die Behauptung kolportiert: „Beck: Deutsche sollen Arabisch lernen“.kronen

Das ist Unsinn. Traurig, dass beim Run auf Klickzahlen und Sensationen solche Verdrehungen auch von seriösen Nachrichtenseiten verbreitet werden. Zunächst hier, was gefragt und von mir geantwortet wurde [Das ganze Interview finden Sie hier als Video] Weiterlesen

FAQ zu Religionsfreiheit

Am 14. Dezember 2015 war ich bei PHOENIX zu einer TV-Diskussion mit dem israelischen Botschafter bei der Sendung „Unter den Linden“ zum Thema „Gewalt und Intoleranz – Unsere Freiheit im Visier des Terrors“. Seitdem erhitzen sich die Gemüter, weil ich die Frechheit besaß, in einem Nebensatz das Grundrecht auf Religionsfreiheit auch für Juden und Muslime einzufordern. Ich sagte:

Moderatorin: „Sie sagen gleichzeitig keine Obergrenze hier in Deutschland, Sie sagen das ist eine europäische Aufgabe. Wenn so viele Leute nach Europa oder auch hier nach Deutschland kommen, würden Sie sagen, die Zuwanderung durch die Moslems kann auch unser Wertesystem in irgendeiner Form verändern?“

Ich: „Unser Wertesystem ist ja nicht Christentum, Judentum oder Islam oder Atheismus. Unser Wertesystem ist das Grundgesetz. Und das muss für alle Anhänger von Weltreligionen gelten, das muss auch für alle akzeptiert werden. Das gilt aber übrigens auch für die deutschen Christen oder Atheisten, die nicht ertragen wollen, dass Juden oder Muslime andere religiöse Vorstellungen haben, die sie praktizieren wollen, ohne dass sie die Rechte von Dritten einschränken. Mit religiösen Kopfbedeckungen, mit der Frage des religiös begründeten Schächtens von Tieren, Beschneidung und dergleichen. Das sind alles Sachen, wo auch ein Respekt der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den religiösen Vorstellungen und Vorschriften von Minderheitsreligionen notwendig ist. Also auch das gehört zum Respekt vorm Grundgesetz. Genauso wie ich erwarte, dass jeder, der hier her kommt, selbstverständlich die Gleichberechtigung von Mann und Frau akzeptiert, selbstverständlich die Rechte von Homosexuellen akzeptiert und weiß, dass in unserem Land Auseinandersetzungen friedlich mit Argumenten zivil ausgetragen werden und nicht mit Gewalt. Das sind Selbstverständlichkeiten. Und Selbstverständlichkeiten gelten für alle. Für die Deutschen, die schon lange hier sind, wie für die Menschen, die aus Gründen der Migration oder der Flucht noch neu zu uns kommen.“

Ich möchte deshalb hier die Gelegenheit nutzen, auf die häufigsten Bedrohungen, Vorwürfe und Argumente einzugehen:

  1. „Man sollte Volker Beck schächten!“
  2. „Nicht wir müssen uns den Flüchtlingen anpassen, sondern die einzig und alleine uns.“
  3. „Wir sind Deutsche in Deutschland. Hier gelten unsere Gebräuche und Religionen.“
  4. „Sie wollen das Schächten legalisieren!“
  5. „Also lassen sie bitte diesen Gedanken, an das schächten fallen, sonst verlieren sie auf alle Fälle unsere Wählerstimmen.“
  6. „Gesetze sollten/müssen dann wieder geändert werden, wenn sie von einer breiten Mehrheit in einer Demokratie nicht mitgetragen werden.“
  7. „Ich will erstmal deutlich machen, dass ich kein Rassist bin […] Das Schächten von Tieren, also das töten von Tieren OHNE vorherige Betäubung, ist barbarisch und unmenschlich.“
  8. „Ich bin kein Antisemit, aber…“
  9. „Ist das wirklich Ihr Ernst, daß Sie die religiöse Beschneidung von Frauen in Deutschland tolerieren wollen?“
  10. „Soweit eine Beschneidung bei männlichen Kindern nicht aus medizinischen Gründen erforderlich ist, ist und bleibt es eine Körperverletzung“
  11. „Musliminnen, die durch das Kopftuchtragen in immer extremeren Formen und Auswüchsen ihre Religion zur Schau tragen, werden kein Mitglied der deutschen Gesellschaft werden“
  12. „Wer hier in Deutschland bei uns Schutz sucht und hier leben möchten, der hat unsere Gesetze zu akzeptieren – ohne Wenn und Aber – BASTA BASTA BASTA !!“
  13. „Sehr geehrter Herr Özdemir!“
  14. „Sie sollten sofort zurücktreten“

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Rede zum Leo-Baeck-Preis

+++ ES GILT DAS GESPROCHENE WORT +++

Sehr geehrter Herr Bundesminister,
sehr geehrter Herr Dr. Schuster,
Herr Botschafter,
Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,

Lassen Sie mich mit einem dreifachen Dank beginnen
Lieber Frank-Walter, es ist mir eine besondere Freude, dass Du heute die Laudatio gehalten hast.
In dieser außenpolitisch schwierigen Zeit, von Ukraine über Russland bis Iran, von der Türkei über Syrien bis zum Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser müssen wir dir danken, wie Du mit klarem Kompass navigierst. Vielen Dank, dass du heute die Zeit gefunden hast.

Toda Raba, lieber Herr Schuster. Ich bin überwältigt von ihren herzlichen Worten.
Vielen Dank für Ihren Applaus, meine Damen und Herren.

Leo Baeck war ein ganz Großer, a Mentsh. Er war Theologe, Seelsorger und – heute würde man sagen –
ein mutiger und standhafter Menschenrechtsverteidiger. Es ist eine unermesslich große Ehre,
diesen Preis verliehen zu bekommen. Die Größe seines Namens und Werkes, die Liste der bedeutenden Frauen und Männer, die diesen Preis vor mir erhielten, beeindrucken mich und deshalb stehe ich etwas kleinlaut und vor allem demütig vor Ihnen. Aber auch voller Stolz darauf, dass Sie mich für würdig befunden haben.

Denn was habe ich schon Besonderes getan? Nichts. Wofür ich gearbeitet habe? Es sollten eigentlich alles Selbstverständlichkeiten sein:

*dass Opfer des Nationalsozialismus eine Entschädigung bekommen,
ohne dass immer wieder bürokratische Hürden aufgebaut werden,

*dass Juden in Deutschland ihre Religion
frei von der Verfolgung durch deutsche Staatsanwälte leben können,

*dass man in unserem Land nicht gegen Juden hetzen darf,

*dass der jüdische und demokratische Staat Israel
nicht strengeren Maßstäben unterworfen wird als andere Staaten.

Dass Ihnen meine Arbeit, mein Einsatz, dennoch einen Preis wert ist, zeigt, dass nichts davon ein Selbstläufer ist. Der Preis ist für mich daher Ansporn und Verpflichtung zugleich, für die Selbstverständlichkeit dieser Selbstverständlichkeiten in den nächsten Jahren weiter in Parlament und Öffentlichkeit zu streiten!

Das Leben und das Werk von Leo Baeck, als Rabbiner und Intellektueller, wirken bis heute. Er war zu seiner Zeit der bedeutendste Vertreter des liberalen Judentums, Führungsfigur und Repräsentant der deutschen Juden in der schwierigsten und schrecklichsten Zeit für Juden auf dem Boden dieses Landes und in Europa.

Leo Baeck war ein Mann des Geistes. Seine Mission war es, gegen eine christliche Polemik anzuschreiben, die das Jüdische als „dunklen“ Kontrast für die „helle“ christliche Botschaft missbrauchte und dabei vergessen machte, wie jüdisch die Botschaft und das Leben des Juden Jesus war.

Die Geschichte des Antisemitismus hat tiefe Wurzeln im Antijudaismus des Christentums. Bis heute sichtbar im Figurenschmuck der gotischen Kathedralen mit der blinden Synagoge und der ecclesia triumphans. Es folgten die Schriften Luthers. In der Auseinandersetzung mit Vorlesungen und Werk des protestantischen Theologen Adolf von Harnacks, „Das Wesen des Christentums“, wandte sich Baeck früh gegen eine christliche Apologetik auf Kosten des Judentums. Hervorgegangen daraus ist als Antwort Baecks Werk „Das Wesen des Judentums“. Baecks „Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte“ von 1938 machte ihn zum geistigen Mentor des christlich-jüdischen Dialogs.

Nachdem er im 1. Weltkrieg noch als Feldrabbiner an der Front diente, in der Weimarer Republik als Theologe, Seelsorger und Gelehrter vielfältig wirkte, durchlebte er die Abgründe unserer Geschichte. Es folgten die Jahre der Entrechtung, Demütigung, Willkür und Deportationen, die im millionenfachen Mord an den europäischen Juden endeten.

Baeck erlebte das Grauen von Theresienstadt und auch die Befreiung durch die Alliierten.
Vier seiner Schwestern überlebten die Shoa nicht, genauso wie 6 Millionen weitere Jüdinnen und Juden. Das dürfen wir niemals vergessen.

Aus der Shoa erwächst eine Verpflichtung, die über den, oft leichthin verwendeten Ausspruch „Nie Wieder“-hinauswächst.

Diese Verpflichtung darf man nicht in Sonntagsreden sakralisieren, sie ist alltäglicher Handlungsauftrag: Die Verpflichtung des „Nie wieder“ muss sich auch auf das beziehen, was Ausschwitz vorausging: Auf christlichen Antijudaismus, völkischen Antisemitismus und Rassismus.
Hier gilt es im Alltag Haltung zu zeigen, im Kampf gegen Hate-Speech auf Facebook, am Stammtisch und im Fußballstadion.

Wir haben in den letzten Jahren erlebt, wie schnell die Stimmung im Deutschland der Sommermärchen kippen kann. Ich erinnere an die rassistischen und antisemitischen Auswüchse in der Beschneidungsdebatte, an die „Juden ins Gas“-Rufe während antiisraelischer Demonstrationen und
an über 600 Angriffe und Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in diesem Jahr.

Aus unserer Geschichte erwächst der Auftrag zu einer Kultur des Respekts, zum Hinsehen und zum Widerspruch. Herr Schuster, Sie haben in Ihrer Eingangsrede beschrieben, wie wichtig eine klare Haltung ist. „Ja, wir schaffen das!“ – Eine andere Haltung kann es nicht geben, wenn Menschen bei uns vor Krieg, Gewalt und Verfolgung Schutz suchen. Das schulden wir auch unserer Geschichte.

Es sei daran erinnert, wie Jüdinnen und Juden vor dem nationalsozialistischen Deutschland flohen
und man ihnen die Aufnahme verweigerte.

Unvergessen das Desaster der Konferenz von Évian und die Beschränkung der Einwanderung für jüdische Flüchtlinge nach Palästina durch das britische Weißbuch von 1939. Die Odyssee der MS-Louis,
die ein halbes Jahr nach den Novemberpogromen im Mai 1939 in See stach. Damals verweigerten die USA und Kuba die Aufnahme der fast tausend jüdischen Flüchtlinge.

Eine Lehre aus diesem Versagen bei der Rettung der Juden aus den Fängen der verbrecherischen Deutschen war das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention. Manchmal gelingt es nicht oder nicht gleich, einem verbrecherischen Regime an dessen Taten zu hindern. Aber man kann und muss denen Schutz gewähren, die vor ihm geflohen sind.

Ich kann in der heutigen Flüchtlingsdiskussion die Befürchtungen in den jüdischen Gemeinden nachvollziehen, dass syrische Flüchtlinge ein anerzogenes Feindbild von Israel und den Juden mitbringen könnten und dass dies in Bedrohung und Gewalt umschlagen könnte. Aber ich warne auch vor einer self-fulfilling prophecy.

Diese syrischen Flüchtlinge wurden selbst Opfer eines Systems, das diesen Hass auf Juden und Israel schürte. Deshalb liegt in der aktuellen Situation auch eine Chance auf Infragestellung, Neuanfang und Perspektivwechsel, der wir mit Mut und Klarheit begegnen sollten. Wir müssen Ihre Befürchtungen,
meine Damen und Herren, in konkrete Integrationsaufgaben übersetzen.

Selbstverständlich ist es mit der Errichtung von Leichtbauhallen und Zeltstädten nicht getan.
Wir müssen den Menschen, die aus Diktaturen fliehen, unsere demokratischen Werte vorleben und vermitteln.

Dieses Deutschland wird jünger und vielfältiger. Es wird sich verändern, ebenso werden dies die Menschen tun, die nun neu zu uns kommen. Grundlage unseres Zusammenlebens ist das Grundgesetz,
sind Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz und die Lehren und die Verantwortung vor unserer Geschichte.

Da stehen wir Seit‘ an Seit‘: Wer hier dazu gehören will, der muss Nein sagen zu Antisemitismus, Rassismus und Homophobie – egal ob er aus Dresden oder Damaskus kommt. Wer hier politisch mitreden will, muss akzeptieren: Über das Recht Israels auf Existenz und Sicherheit gibt es keine Diskussionen!

Lassen Sie uns das Neue als Chance begreifen, Aufgaben und Ziele definieren, Probleme anpacken statt sie zu beklagen. Lassen Sie uns auch den Dialog zwischen Juden, Christen und Muslimen intensivieren.

Ich appelliere hier auch an die muslimischen Vereine und Verbände, sich zu öffnen und dies aktiv zu befördern, für einen Dialog auf allen Ebenen, nicht nur unter Vorständen, sondern auch unter Theologen und unter den einfachen Gläubigen.

Aus einer Position der Festigkeit und des Selbst-bewusst-seins heraus, wie es Leo Baeck 1956 für den
Dialog der drei monotheistischen Religionen formulierte, sollten wir ins Gespräch kommen:
„Sie sollen nicht gleich werden, und sie können nicht gleich werden. Sie sollen aber einander verstehen. Verstehen bedeutet zugleich, voreinander Respekt haben, und vor dem anderen kann nur Respekt haben, der vor sich selber Respekt hat …. Dann werden gute Tage kommen. Menschen und Völker und Bekenntnisse werden geschieden bleiben, werden in ihrer Besonderheit weiter leben, aber sie werden wissen, dass sie zusammengehören, Teile der einen Menschheit sind, zusammenleben sollen auf dieser unserer Erde, einander sehend und einander verstehend, und, wenn es Not tut, einander helfend.“

Ich danke hier auch dem Zentralrat der Juden und den Vertreterinnen und Vertretern der Jüdischen Gemeinden im Saal, dass Sie sich immer für die Schwachen, Verfolgten und das Grundrecht auf Asyl eingesetzt haben und wie Sie es gerade gesagt haben Herr Schuster: „in jedem Flüchtling zuerst den Mensch zu sehen.“

Mit dem Mitzvah Day 2015 setzen Sie bewusst ein Zeichen, indem Sie einen Schwerpunkt auf Aktionen und Projekte für Flüchtlinge setzen. Mit vereinten Kräften in unzähligen kleinen Aktionen werden Sie die Welt ein Stück besser machen, gründend auf zentralen jüdischen Werten wie Tikkun Olam, Tzedek und Gemilut Chassadim, also der Verbesserung der Welt, Gerechtigkeit und Mildtätigkeit.

In der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen können wir viel von Ihrer Arbeit beim Zentralrat und in den jüdischen Gemeinden lernen. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind über 200.000 jüdische Kontingentflüchtlinge zu uns gekommen.

Sie haben die Menschen, die zu Ihnen kamen, in Ihren Gemeinden aufgenommen und willkommen geheißen.
Sicher verlief das nicht immer reibungslos. Beachtlich ist die Leistung aber allemal, denn die kleinen Jüdischen Gemeinden in Deutschland haben als Minderheit eine neue Mehrheit integriert.
Aus Ihren Erfahrungen können wir sicherlich viel Wissen schöpfen.

Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder schlagen wir Hilfesuchenden die Tür vor der Nase zu.
Das ist weder rechtlich noch menschlich eine Option. Oder wir machen es richtig und mit Haltung.
Der Schlüssel dazu heißt Integration und wir kennen die Fehler jahrzehntelanger versäumter Integrationspolitik, die wir nicht wiederholen dürfen. Wir müssen unsere Kommunen bei dieser Mammutaufgabe unterstützen.

Wir müssen uns jetzt, heute, darüber unterhalten, wie aus den Flüchtlingen von heute gleichberechtigte Bürger von morgen werden. Das funktioniert nur durch Bildung, Integrationskurse und praktischer Hilfe für traumatisierte Menschen. So können wir demokratische Werte leben und vermitteln.

Herr Schuster, Sie haben meinen Einsatz für die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus erwähnt. Wie kam das eigentlich? Ich will das nur kurz erzählen, weil es mich tief geprägt hat.

In den 80er-Jahren gelang es, das Thema der „vergessenen Opfer“ des Nationalsozialismus auf die politische Tagesordnung zu setzen, die in Wirklichkeit ausgegrenzte Opfer waren. Homosexualität war zu der Zeit zwar nicht mehr strafbar. Aber wohl lebten wir schwulen Männer am Rand der Gesellschaft, z.T noch mit Rosa Listen geächtet. Die Opfer der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung waren nicht rehabilitiert.

Es gab nicht nur ausgegrenzte Opfer, wie Wehrmachtsdeserteure, Zwangssterilisierte oder Homosexuelle.
Ich musste lernen: Auch vielen Angehörigen der anerkannten Opfergruppen, Juden, Sinti und Roma, Oppositionelle, war durch eine Vielzahl von Bestimmungen und Fristen der Zugang zu Entschädigungsleistungen verwehrt. Etwas, was so gar nicht
zum manchmal selbstgefälligen Narrativ der historischen Aufarbeitung passte. Ein Grund, dass man zig Schlussstrichversuche durchkreuzen musste.

Als ich Ignatz Bubis s.A. in den 90er-Jahren kennenlernte, haben wir eine ungewohnte Solidarität erlebt. Dass damals der Zentralrat der Juden gemeinsam mit uns Gerechtigkeit und Gedenken für die Homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus einforderte, war eine starke Geste. Die Geschichte von Ausgrenzung und Diskriminierung prägt uns Angehörige von Minderheiten und man erkennt in der Bedrängnis der anderen die eigene.

Und die Benachteiligung des einen heute kann auch immer eine Gefahr für die morgige Freiheit des anderen sein. Solidarität unter Minderheiten kann daher eine wichtige Quelle für die demokratische Erneuerung einer Gesellschaft sein, da sie in eigener Sache das Allgemeine erkennt.

Diese Grunderfahrung beschreibt Leo Baeck in „Das Wesentum des Judentums“ wie folgt: „Die Knechtung der Juden war nie eine vereinzelte Erscheinung, sondern nur ein Moment, freilich das traurigste,
in einer allgemeinen Unterdrückung. Und ebenso ist ihre Emanzipation überall nur ein Teil …
in der Befreiung des ganzen Volkes gewesen. … Nicht nur um uns handelt es sich, wo es sich um uns handelt. … Wir verlangen nicht, dass man uns ehre, sondern nur, dass man das Recht und die Wahrheit ehre.“

Dies lebten Männer wie Ignatz Bubis s.A., und Paul Spiegel, s.A. in ihrem Einsatz für andere Minderheiten in beispielloser Weise vor. Sie wussten: Wenn in der Mehrheitsgesellschaft der Wind rauer wird oder an den Rechten Einzelner gekratzt wird, trifft es irgendwann uns alle.

Deshalb freue ich mich, dass sich die Amadeu Antonio Stiftung, liebe Anetta Kahane,
und der Lesben- und Schwulenverband, lieber Günter Dworek, mit meinem Preisgeld in ein gemeinsames Projekt begeben, um Homosexuellenfeindlichkeit zu bekämpfen.

Meine Damen und Herren, heute vor 20 Jahren, am 4. November 1995, starb mit Jitzchak Rabin durch die Kugeln eines Extremisten nicht nur ein Mensch, sondern auch eine Idee.

In Ihrer Dankesrede zum Leo-Baeck-Preis betonte die Bundeskanzlerin 2007, es erwüchse aus dem Preis auch die Verantwortung, – ich zitiere – „Heute und in Zukunft für die Sicherheit des Staates Israel und für unsere gemeinsamen Werte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzutreten.“

Ich glaube, ich spreche für alle im Saal, dass wir diesen Satz so unterschreiben können.

Die Raketen aus dem Gaza-Streifen, Terroranschläge und barbarische Messerattacken gegen die israelische Zivilbevölkerung zeigen, wie notwendig unser Eintreten für die Sicherheit Israels ist.
Für die Sicherheit Israels ist deshalb eine friedliche Regelung mit seinen Nachbarn unerlässlich.

Wir müssen weiter gemeinsam auf ein Ende der Gewalt zwischen Israelis und Palästinenser hinarbeiten und ihnen da Unterstützung anbieten, wo es notwendig ist. Und angesichts der Messerattacken auf israelische Bürger in den letzten Tagen und Wochen muss man sagen, dass ist durch nichts zu rechtfertigen!

Die israelische Regierungspolitik macht es uns nicht immer leicht, deren Handeln nachzuvollziehen.
Zugegeben, wäre ich Israeli, ich hätte diese Regierung nicht gewählt. Lieber Frank-Walter,
ich muss aber auch gestehen: Für die Bundesregierung, der Du angehörst, habe ich aber auch nicht gestimmt.

Jitzchak Rabin hatte den Mut, aus einer Idee zum Frieden tatsächlich Realität werden zu lassen.
Die Bedingungen heute sind wahrlich nicht besser als vor 20 Jahren. Gewalt, Frustration und Misstrauen beherrschen das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern. Doch für den Bestand Israels als jüdischer und demokratischer Staat ist ein Friedensschluss unerlässlich. Hier sollten Deutschland und Europa eine aktive Rolle bei der Lösung des Konfliktes übernehmen. Nur wer etwas Relevantes zur Lösung der Probleme anzubieten hat, wird auch tatsächlich eine Rolle bei der Vermittlung des Konfliktes beitragen können. Weitere Besserwisser braucht es in der Region allerdings nicht.

Es gibt manches, worüber man in Israel streitet und mit der israelischen Regierung streiten möchte.
Ich wünsche mir aus Deutschland mehr Empathie und mehr Fairness, wenn Israel dämonisiert, delegitimiert und mit doppelten Standards angegriffen wird.

Meine Damen und Herren, Ich danke Ihnen, dass Sie heute gekommen sind und ich danke dem Zentralrat der Juden in Deutschland, mir mit dem Leo-Baeck-Preis diese große Verantwortung zu übertragen.
Ich verstehe das als Auftrag, weiter für Demokratie und Freiheit zu kämpfen und mich mit ihnen allen gemeinsam jeder Form von Antisemitismus, Rassismus, Antiziganismus und Homosexuellenfeindlichkeit in den Weg zu stellen.

Vielen Dank und Toda Raba.

Debattenbeitrag: Freiheit zur und von Religion

Foto: "Skip The Budgie" (Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0)

Foto: „Skip The Budgie“ (Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0)

Volker Beck & Robert Zion

Femen auf dem Altar im Kölner Dom. Empörung über die Entlassung einer geschiedenen Erzieherin eines katholischen Kindergartens, Streit zwischen Papst und dem Satiremagazin Titanic vor Gericht, Lob und Tadel für die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen. Das wachsende Unverständnis zwischen Gläubigen und überzeugten Atheisten zeigt, wir brauchen angesichts gewachsener weltanschaulicher und religiöser Pluralität eine neue Verständigung über das gesellschaftliche Miteinander.

Nur wenige Themen bieten ein ähnlich explosives Konfliktpotential wie Debatten zwischen Anhängerinnen und Anhängern verschiedener religiöser und/oder säkularer Gruppen. Nicht nur in unserer Partei nehmen diese Konflikte beständig zu. Wir müssen deshalb Fragen klären: Welche Stellung haben Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in unserer Gesellschaft? Ist unser Religionsverfassungsrecht noch zeitgemäß? Wo gibt es Reformbedarf und wo muss die religiöse Freiheit vor Einschränkungsversuchen durch Andersdenkende verteidigt werden?

Kompromisse sind schwierig und selten für alle Seiten zufrieden stellend. Wichtiger als die Positionierung bei einzelnen Streitfragen ist die Entwicklung eines programmatischen Kompass für die Religionspolitik. Respekt, weltanschauliche Neutralität des Staates und die drei Dimensionen der Glaubensfreiheit scheinen uns geeignete Grundlagen um die grüne Religionspolitik gemeinsam auszurichten.

Grüne Politik ist immer auch eine Politik der Freiheit. Deshalb darf die Größe religiöser oder säkularer Institutionen und Bewegungen kein Argument für oder gegen die Formulierung von notwendiger Kritik sein, gerade wo gesellschaftliche Macht Freiheiten beschränkt. Insbesondere dann, wenn sich Religionsgemeinschaften als Arbeitgeberinnen einen Wirtschaftszweig aufbauen, die mancherorts hegemonial sind. Weiterlesen

Für die Straffreiheit der Beschneidungen minderjähriger Jungen

Volker Beck bei der Abstimmung im Bundestag der Stimmkarte für Ja

Volker Beck bei der Abstimmung im Bundestag mi Stimmkarte (Foto: Kohlmeier)

Der Bundestag hat heute in namentlicher Abstimmung mehrheitlich (MdB: 580 | Ja: 434 | Nein: 100 | Enthaltung: 46) für die Straffreiheit der Beschneidungen minderjähriger Jungen gestimmt. Um mein Abstimmungsverhalten zu begründen, möchte ich auf die Erklärung nach §31 GO verweisen, die ich gemeinsam mit Claudia Roth, Katrin Göring-Eckardt, Konstantin von Notz, Marieluise Beck, Kerstin Müller, Cornelia Behm, Josef Winkler, Tom Koenigs, Sven-Christian Kindler, Kerstin Andreae, Hermann Ott, Lisa Paus  abgegeben habe. Weiterlesen

Warum ich dem Antrag „Rechtliche Regelung der Beschneidung minderjähriger Jungen“ im Bundestag zugestimmt habe

Im Bundestag habe ich heute dem Antrag „Rechtliche Regelung der Beschneidung minderjähriger
Jungen“ (Drucksache 17/10331)
zugestimmt. Hier finden Sie meine Erklärung zur Abstimmung gemäß §31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (gemeinsam mit Renate Künast, Claudia Roth, Katrin Göring-Eckardt, Ekin Deligöz, Kertin Andreae, Marieluise Beck und Fritz Kuhn). Meine Plenarrede finden Sie als Video auf meiner Homepage www.volkerbeck.de

Erklärung nach §31 GO zum Zusatztagesordnungspunkt 1

Wir stimmen der Forderung an die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist, zu.

Die Rechtsauffassung einer kleinen Strafkammer des Kölner Landgerichts hat zu tiefgreifender Verunsicherung bei Ärzten und jüdischen und muslimischen Eltern geführt. Bei der Beschneidung von Jungen handelt es sich um einen klassischen Grundrechtskonflikt, der im Wege der praktischen Konkordanz auszugleichen ist, wobei jede Grundrechtsposition optimal zu verwirklichen ist.

Eine Beschneidung ist tatbestandlich – wie jede Operation – eine Körperverletzung, die durch rechtswirksame Einwilligung gerechtfertigt werden kann und dann straffrei ist. Bei Minderjährigen handeln grundsätzlich die Eltern stellvertretend für das Kind und sind dabei an das Kindeswohl gebunden. Die Wahrung der körperlichen Unversehrtheit und das Recht des Kindes als vollwertiges und gleichberechtigtes Mitglied einer Religionsgemeinschaft aufzuwachsen, sind jeweils Aspekte des Kindeswohls. Der körperliche Eingriff bei einer Beschneidung ist ein irreversibler Eingriff mit niedriger Eingriffstiefe, soweit er medizinisch fachgerecht durchgeführt wird. Er wird zum Teil auch aufgrund von hygienischen und prophylaktischen Überlegungen durchgeführt. In den abrahamitischen Religionen ist das Beschneidungsgebot das erste und zugleich die Begründung des Bundes mit Gott. Daher ist es für Juden zentral und für die meisten Muslime unverzichtbar.

Der Staat muss bei einer rechtlichen Regelung darauf achten, dass die Beschneidung medizinisch fachgerecht von qualifizierten Fachleuten durchgeführt wird. Hierdurch verwirklicht er das Kindeswohl und schützt die Gesundheit des Kindes (Art. 2GG). Im Falle einer Illegalisierung der Beschneidung käme es sicher häufiger zu nicht fachgerechten Eingriffen durch unqualifizierte Beschneider. Dies gilt es zu vermeiden. Jüdischer Glaube, Islam und Christentum gehören zu Deutschland. Dies wollen wir heute mit unserer Abstimmung auch zum Ausdruck bringen.

Unterzeichnet von: Volker Beck (Köln), Renate Künast, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae, Marieluise Beck (Bremen), Fritz Kuhn, Claudia Roth (Augsburg)

Juden und Muslime in Deutschland brauchen Rechtssicherheit

Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung vom 9. Juli 2012

Ein Zwischenruf in der Debatte zur religiösen Beschneidung von Jungen

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

in den letzten Tagen erreichten uns viele Reaktionen auf unsere kritische Haltung zum Urteil einer kleinen Strafkammer des Kölner Landgerichts. Dieses sieht in der Beschneidung der Penisvorhaut (med. Zirkumzision) bei minderjährigen Jungen eine strafbare Körperverletzung, auch wenn die Einwilligung der Eltern religiös motiviert ist. Damit wurde eine Debatte befeuert, die Millionen von Menschen in Deutschland und weit darüber hinaus bestürzt und verunsichert. Diese – soweit uns bekannt – einmalige gerichtliche Entscheidung ist für andere Gerichte und die Staatsanwaltschaften in Deutschland nicht bindend. Sie schafft keine verbindlichen Verhaltensregeln in der Gesellschaft. Mit einem juristischen Kunstkniff (Freispruch für den angeklagten Arzt trotz angeblicher Strafbarkeit wegen eines zu entschuldigenden Verbotsirrtums) wurde eine höchstrichterliche Klärung verhindert.

In der Diskussion müssen die Auswirkungen rechtlicher Diskurse auf unsere multikulturelle Gesellschaft, in der wir Muslimas und Muslime willkommen heißen und uns über die Wiederkehr jüdischen Lebens nach Deutschland freuen, beachtet werden. Wir möchten Weiterlesen

Konservative suchen nach Bewahrenswertem – Was ist denn hier christlich?

Der Koalition laufen bei den Umfragen die Anhänger in Scharen davon. Die reale Lobbypolitik für Atomlobby und Hoteliers kommt eben schlechter an als die leeren Wahlversprechen von „mehr Netto vom Brutto“. Nachdem der x-te Neustart der Koalition den Motor auch nur weiter stottern lässt, empfehlen viele in der Union zur Mobilisierung des früheren Stammpublikums der Partei: die Schärfung des konservativen Profils und ein paar Schritte nach rechts. Dabei offenbart die CDU, dass sie gar nicht weiß, was sie eigentlich bewahren will. Die Profilsuche wird so zum etwas hilflosen Stochern im Nebel:

Schon länger versucht die Union mit einer rein innenpolitisch orientierten Kampagne für die verfolgten Christen (praktisch folgt dagegen zwar nichts daraus) statt für die Glaubensfreiheit aller religiös Verfolgten evangelikales und konservativ katholisches Milieu an sich zu binden. Gliederungen der Jungen Union wollen die Familien- und Gesellschaftspolitik wieder in Fraktur schreiben, Generalsekretär Gröhe unterstützt Steinbachs Vorschlag, den 5. August, dem Jahrestag der Verkündung der Charta der deutschen Heimatvertriebenen, für einen nationalen Gedenktag für die deutschen Heimatvertriebenen, und jetzt hat Laschet als Abgrenzung zu den Grünen das christliche Menschenbild entdeckt.

Gegenüber der Welt sagt er in einem Interview:

„Wir müssen die intellektuelle Auseinandersetzung mit den Grünen führen. Das christliche Menschenbild ist der fundamentale Unterschied zwischen uns und ihnen.…

Das christliche Menschenbild ist immer eindeutig. Deckungsgleichheiten sind ja in Ordnung. Aber das Bild vom Menschen als Individual- und Gemeinschaftswesen gleichermaßen fehlt bei den Grünen oft. Dort denken viele entweder kollektivistisch oder liberalistisch.“

Eindeutig an dieser Aussage ist allenfalls eines: Laschet reklamiert für die Union das Christentum, setzt es als Keule gegen die politische Konkurrenz ein, ohne auch nur im Ansatz sagen zu können, was das christliche Menschenbild an praktischer Politik für die Union bedeutet.

Was ist denn an der Unionspolitik nun so besonders christlich? Wofür hat sie sich denn bei wichtigen Fragen entschieden: Für die Bewahrung der Schöpfung oder für die Verlängerung der AKW-Laufzeiten? Oder sehen wir uns die konservative Menschenrechts- und Flüchtlingspolitik an: In puncto Menschenrechtspolitik ist es bei der Union wie im Kino, je weiter die Menschenrechtsverletzungen weg sind, umso klarer werden sie erkannt und verurteilt. Wenn der Flüchtling aber an die Tür klopft, der vor diesen flieht, ist es mit dem Einsatz für Menschenrechte auch schnell wieder vorbei.

Und nun lieber Kollege Laschet, jetzt einmal von Christ zu Christ:

Wir Christen tragen, wenn wir es ernst meinen, unser Christentum nicht als Monstranz vor uns her, denn das wäre sonst ganz unchristlich:

„Und wenn du betest, sollst du nicht sein wie die Heuchler, die da gerne stehen und beten in den Schulen und an den Ecken auf den Gassen, auf daß sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin. Wenn aber du betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten öffentlich. Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viel Worte machen“ (Matthäus: 6 5-7)

Im Übrigen gilt: An ihren Taten, nicht an ihren Worten sollt ihr sie erkennen!

Wenn es um den Schutz von Flüchtlingen, um den Zugang zur Gesundheitsversorgung von Illegalen, um die Aufnahme von Menschenrechtsverteidigern in Deutschland geht, kann die Union künftig gern beweisen, dass es ihr ernst ist, mit dem christlichen Menschenbild; denn „was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ (Matth. 25:40).

Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass man die eigene Politik nicht religiös begründen sollte. Weil der damit verbundene Absolutheitsanspruch etwas so Unbedingtes hat, dass er den demokratischen Diskurs um eine humanistisch begründete Ethik in der Politik tötet. Aber selbstverständlich haben WIR Christen in die ethische Debatte etwas einzubringen, das auch Nichtchristen – Juden, Muslime, Buddhisten, Hindus, Baha’i, Säkulare, u.a. –unterschreiben können.

Wir, Bündnis 90 / Die Grünen, sind zwar keine christliche Partei, sondern offen für Menschen aus verschiedenen religiösen und weltanschaulichen Richtungen. Aber für Christen allemal eine gute Alternative.

Die Weihnachtspost (I)

Die Weihnachtspost (I)

… zu lesen, gehört zu den Tätigkeiten dieser besinnlichen Zeit zum Jahreswechsel.
Dieses Jahr waren darunter viele Mails von konservativen Katholiken. Was bescherte mir diese besondere Zuwendung?

Ein weiteres Kapitel in der nicht enden wollenden Auseinandersetzung um Christentum, oder besser Religion, und Homosexualität:

Glaubensfreiheit und Homosexualität
– Kurz zum Hintergrund

Im Kern dieser Auseinandersetzung geht es um das Verständnis des Menschrechtes der Religionsfreiheit. Die Religions- und Glaubensfreiheit ist eines der zentralen Menschenrechte. Sie wird von vielen in ihrer Bedeutung unterschätzt und nur auf einzelne Aspekte reduziert.
Die Glaubensfreiheit schützt das Recht eines jeden, zu glauben, was man für wahr erkannt zu haben meint, jederzeit zum vermeintlich als richtig und wahr erkannten Bekenntnis zu wechseln, seinen Glauben mit anderen zu feiern, zu bekennen und auch dafür zu missionieren. Aber eben nicht nur:
Sie umfasst auch das Recht aller, die Glaubenswahrheiten anderer nicht glauben zu müssen und sich nicht nach den von anderen – auch wenn sie in der Mehrheit sind – für richtig und wahr erkannten Maximen im eigenen Leben richten zu müssen. Die negative Glaubensfreiheit.

Die negative Glaubensfreiheit ist essentiell für das Miteinander verschiedener Glaubensrichtungen überall auf der Welt. Nicht jede Religion ist irgendwo auf der Welt in der Mehrheit, jede ist aber zumindest irgendwo in der Minderheit. Dann sind ihre Anhänger essentiell darauf angewiesen, dass sie nicht glauben und leben müssen, wie die Religion der Mehrheit es vorschreibt. Von dem Respekt dieses Prinzips hängt die Freiheit der Muslime, Juden, Buddhisten und Hindus bei uns in Europa ab, der Respekt dieses Prinzips garantiert den Christen, Muslimen und Bahá’í in Israel die Freiheit ihrer Religion, und der Respekt dieses Prinzips ist Voraussetzung für das Ende der Christenverfolgung beispielsweise in Indien und einer Reihe mehrheitlich islamischer Staaten.

Nimmt man die negative Glaubensfreiheit ernst, muss es der Politik und Rechtssprechung egal sein, was Religionen, sei es die katholische Kirche oder auch der Islam, von der Homosexualität halten. Lesben, Schwule und Transsexuelle müssen sich nicht nach deren religiösen Lehren richten. Sie müssen sich aller Grundrechte unserer Verfassung und der verbrieften Menschenrechte – einschließlich des Rechts auf Nichtdiskriminierung, der Freiheit, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner zu schließen oder ungehindert von rechtlichen Einschränkungen eine Familie zu gründen – erfreuen können, unabhängig vom Einspruch bestimmter Religionsführer. Glaubensüberzeugungen dürfen nicht die Freiheitsrechte von Menschen, die sich nicht nach ihnen richten wollen oder können, beschränken. Wäre es anders, wäre das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit verletzt.

Dennoch hat die katholische Kirche nicht nur in ihrer Geschichte die Menschenrechte der Homosexuellen immer wieder mit den Füßen getreten. Sie bekämpfte erbittert jeden Schritt, bei der Beseitigung der Strafbarkeit der Homosexualität, bei der Angleichung der Schutzaltersgrenzen von Homo- und Heterosexualität, beim Schutz vor Diskriminierungen oder bei der rechtlichen Anerkennung und Gleichstellung homosexueller Partnerschaften.

Zuletzt im Dezember: Frankreich legte der Vollversammlung der Vereinten Nationen mit Unterstützung von 65 anderen UN-Mitgliedern eine Initiative für die Menschenrechte von Homosexuellen und Transsexuellen vor. In dem Dokument wurde die Strafbarkeit der Homosexualität, Gewalt gegen und Diskriminierung von Homosexuellen und Transsexuellen verurteilt – alles eigentlich menschenrechtliche Selbstverständlichkeiten für Demokratien und Rechtsstaaten –nicht so für den Vatikan! Er bekämpfte den Vorstoß in einer unheiligen Allianz mit den Mitgliedern der Organisation der islamischen Staaten.

Kein Grund zum Wundern und kein Einzelfall: Der römische Nuntius in Moskau, der Botschafter des Papstes bei der Russischen Föderation, hatte dem Moskauer Bürgermeister gratuliert, als dieser mit seinen Demonstrationsverboten das Versammlungsrecht der Homosexuellen mit Füßen getreten hat.
Mit diesen Übergriffen der Kirche auf die Maximen staatlicher Politik verletzt die Kirche nicht nur die Menschenrechte der Homosexuellen, sie stellt auch die Grundlagen der Religionsfreiheit in Frage, die sie sonst für ihre verfolgten Glaubensbrüdern und –schwestern zu recht reklamiert.

Die katholische Sexuallehre:
von Thomas von Aquins Naturrechtslehre zu Ratzingers „Ökologie des Menschen“

Die Katholische Kirche hat in ihrer Sexuallehre von jeher alle Sexualität verdammt, die nicht auf Fortpflanzung ausgerichtet war oder gar außerhalb der Ehe stattfand.
Wikipedia fasst gar nicht untreffend diese Lehre zusammen, die 1975 in dem Lehrschreiben persona humana formuliert wurde: „Homosexualität stehe im Widerspruch zur Funktion der Sexualität in der natürlichen Ordnung, wie sie die Kirche seit Thomas von Aquin in der Naturrechtslehre lehre. Konstitutiv gehöre zur natürlichen Ordnung die Komplimentarität der Geschlechter. Die Geschlechtslust sei dann ungeordnet, „wenn sie um ihrer selbst willen angestrebt und dabei von ihrer inneren Hinordnung auf Weitergabe des Lebens und auf liebende Vereinigung losgelöst wird.“ Danach finde die Sexualität ihren Sinn und ihre Würde nur in der Ehe und nur dann, wenn sie auf Fortpflanzung ausgerichtet ist.“ Deshalb hat eine Integration der Homosexuellen in der katholischen Kirche solange keine echte Chance, solange diese nicht eine ethische Neubegründung ihrer Sexuallehre wagt.

Kurz vor Weihnachten wärmt der Heilige Vater in Rom diese ollen Kamellen auf und sorgt mit einer neuen Tirade für Aufmerksamkeit: „Papst: «Schwule vernichten Gottes Werk»“, übertitelten die Medien die u.a. von reuters weltweit verbreiteten Meldungen über die Weihnachtsansprache des Papstes vor der römischen Kurie. (http://www.bazonline.ch/ausland/europa/Papst-Schwule-vernichten-Gottes-Werk/story/12892989). Darin verteidigt er die katholische Sexuallehre erneut und stellt sie gegen Emanzipation und in Konfrontation zu einem neuen ideologischen Feindbild Roms, dem Begriff „gender“. Benedikt sagt darin: „Die tropischen Wälder bedürfen unseres Schutzes, aber nicht weniger bedarf der Mensch als Geschöpf dieses Schutzes, als Geschöpf, dem eine Botschaft eingeschrieben ist, die keinen Widerspruch zu unserer Freiheit bedeutet, sondern deren Bedingung. Große Theologen der Scholastik haben die Ehe, d.h. die lebenslange Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau, als Sakrament der Schöpfung bezeichnet, …“

„Die Zeichen stehen auf Konfrontation“, interpretierten nicht nur italienische Homosexuellenverbände die Intervention des Papstes. Auch ich kritisierte die Rede, weil sie den Hass auf Homosexuelle nährt. Die vom Vatikan verbreitete schriftliche Version der Rede enthält keinen direkten Bezug zu Lesben und Schwulen. Dennoch bleibt die Botschaft deutlich. (http://www.zenit.org/article-16725?l=german).

Der Hinweis auf die Enzyklika „humanae vitae“ in der Rede unterstreicht auch den Anspruch des Heiligen Stuhls, solche Überlegungen politisch durchzusetzen. Zur Erinnerung: darin kann man als „Appell an die staatlichen Behörde:“ lesen: „…verhindert unter allen Umständen, daß durch Gesetze in die Familie, die Keimzelle des Staates, Praktiken eindringen, die zum natürlichen und göttlichen Gesetz im Widerspruch stehen.“
Nichts anderes meint der Papst, wenn er etwas verklausuliert in seiner Weihnachtsansprache sagt: Es „kann und darf sich die Kirche nicht darauf beschränken, ihren Gläubigen nur die Heilsbotschaft zu vermitteln. Sie … muss … nicht nur Erde, Wasser und Luft als Geschenke der Schöpfung verteidigen, die allen gehören. Sie muss auch den Menschen vor der Zerstörung seiner selbst bewahren. Es ist notwendig, dass es etwas gibt wie eine recht verstandene Ökologie des Menschen. Es ist keine überholte Metaphysik, wenn die Kirche über die Natur des Menschen als Mann und Frau spricht und verlangt, dass diese Schöpfungsordnung respektiert wird.“ Zu deutsch: Es ist der Anspruch der Kirche auf Gestaltung der Gesellschaftspolitik: mit dem Ziel das Leben aller an der römisch-katholischen Lehre auszurichten, und sich nicht mit der Verkündung der Heilsbotschaft zu bescheiden. Wie das praktisch aussieht illustrierte der Heilige Stuhl in Spanien (http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,598582,00.html).

Meine katholischen Brieffreunde

Die Reaktionen meiner katholischen Mailschreiber auf meine Kritik waren geteilt. Die einen meinten, der Papst habe nichts gegen die Homosexuellen gesagt. Die übergroße Mehrheit der Papisten unterstützt ausdrücklich die homophoben Lehren von Benedikt XVI. („Ich bin sehr froh, Herr Beck, dass der Papst diese klaren Worte in einer Welt der Beliebigkeit gegen Gender Mainstreaming und Homosexualität gefunden hat.“) und unterstreicht ihre ausgezeichnete christliche Grundhaltung unter Hinzusetzung von Verbalinjurien wie „Analerotiker“.
Einige meinen die Liberalität des Papstes gegenüber iranischen Mullahs hervorheben zu müssen: „Solange ich im Internet keinerlei Proteste Ihrerseits über Homosexualität in islamischen Staaten wie z.B. die Aussagen* des iranischen Ministers Mohsen Yahyavi (die nicht nur darüber reden, sondern Todesstrafen gegen Homosexuelle vollstrecken) finde, solange erscheint mir ihr Protest gegen den Papst geheuchelt.“ oder äußern direkt den Wunsch, man werde Opfer von antihomosexueller Gewalt („„fahren Sie doch wieder mal nach Moskau und lassen Sie sich einen Nasenstüber verpassen.“
Wer wollte bezweifeln, dass die Rede des Papstes zum Hass gegen Homosexuelle aufgestachelt hat?

Es ist höchste Zeit für eine kritische Auseinandersetzung von Menschenrechtsverteidigern und Demokraten mit der katholischen Kirche über das Prinzip der Glaubensfreiheit und seine Beziehung zu den Rechten der Lesben und Schwulen.