Der Rechtsstaatsliberalismus braucht eine politische Heimat

„Die Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat“, sagt das Bundesverfassungsgericht. Auch angesichts von terroristischen Bedrohungen darf dies nicht aus den Augen verloren werden. Wir sind die Partei der Freiheit. Wir haben das Potenzial, Partei der Bürgerrechte und des rechtsstaatlichen Liberalismus zu sein. Die Frage ist, wollen wir dieses Potenzial heben? Wir können auf unserem Parteitag klar machen, wir verteidigen die Freiheit und den demokratischen Rechtsstaat gegen diejenigen, die sie für vermeintliche Sicherheitsgewinne opfern, und Flüchtlingsschutz ist für uns kein Gnadenakt gutmenschlicher Großherzigkeit, sondern eine menschenrechtliche Verpflichtung.

Wer Rechtsstaatsliberalismus verkörpern will, muss dem innenpolitischen Populismus nicht nur widerstehen, er muss sich ihm entgegenstellen. Wir Grünen müssen klar machen, wo wir den Unterschied zu Union und SPD machen: Wir sollten die Rolle des bürgerrechtlichen Kollektivs offensiv annehmen. Wir müssen Sicherheitsfragen beantworten, aber anders als die anderen: Sicherheit muss man rechtsstaatlich machen. Unschuldsvermutung und Verhältnismäßigkeit sind dabei keine Dispositionsmasse. Hier braucht man Mut zum Anecken, Kraft sich gegen die Mainstream zu stellen, denn eine menschen- und bürgerrechtsfreundliche Politik geht mit allseitiger Gefälligkeit nicht zusammen. Low Profile in diesem Bereich erschließt nicht neue Wählerschichten, frustriert aber den bürgerrechtlich orientierten Teil der Kernwählerschaft. Wir brauchen mehr Mut zur Auseinandersetzung und zur Standhaftigkeit, wenn es um den Kampf gegen weitere Verschärfungen des Asylrechts geht, ebenso wie in der inneren Sicherheit, beim Racial Profiling wie bei der Vorratsdatenspeicherung und beim Umgang mit „Gefährdern“ rechtsstaatliche Prinzipien in Frage gestellt werden.

Wir sind die Partei der Weltoffenheit. Richtig, aber: Wir schützen Flüchtlinge vor Verfolgung und Krieg, weil sie Menschenrechtsträger sind, nicht weil wir weltoffen und human sind. Über Weltoffenheit kann man geteilter Meinung sein. Nicht jeder muss andere Kulturen, neue Perspektiven und Vielfalt in Musik, Kultur, Speisekarte und Sprachen als Bereicherung und Chance empfinden. Man darf das auch anstrengend finden. Über den Anspruch auf Schutz allerdings kann man nicht nach Gutdünken verfügen, auch wenn ein schwäbischer Oberbürgermeister das gelegentlich so sieht. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Daraus ergeben sich Verpflichtungen, die wir einhalten müssen und nicht denunzieren dürfen. Deshalb darf es bei der Flüchtlingsaufnahme keine Obergrenzen geben. Menschenrechtsschutz kann nicht gegen „Grenzen der Belastbarkeit“ abgewogen werden. Hier müssen wir auf dem Parteitag eine klare Entscheidung treffen. Seit Sommer 2015 hagelt es Verschärfungen von Aufenthalts- und Asylrecht. Dabei geht es nicht bloß um Instrumente der Effektivierung von Verwaltungshandeln, deren Erfolg zumindest fragwürdig ist, sondern um teilweise erhebliche Eingriffe in Menschenrechte, die wir nicht hinnehmen können. Hier ist eine klare Haltung gefragt, wenn wir nicht den Eindruck erwecken wollen, dass Menschenrechte Verhandlungsmasse sind, jeder Kompromiss diskutierbar ist, wenn nur die Kommunikation stimmt und die Menge, die die Grünen ohnehin nie wählen wird, das Applausometer hochschnellen lässt. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass Asylverfahren wieder unter strenger Beachtung der rechtlichen Vorgaben durchgeführt werden. Weltoffenheit ist schön und gut. Sie darf aber nicht an die Stelle menschenrechtlicher Erwägungen treten. Flüchtlingsrechte sind Menschenrechte und Schutz ist keine Gnade.

Wenn die Inhaftierung von Gefährdern, die nichts auf dem Kerbholz haben,  diskutiert wird, Fußfesseln ernsthaft als „milderes Mittel“ zu diesem offensichtlich rechtsstaats- und freiheitswidrigen Instrument erklärt werden und die Debatte guantanamisiert wird, müssen wir dem klar und deutlich entgegentreten. Ja, das Thema Sicherheit kann man nicht links liegen lassen. Sicherheit kann und darf man aber nur rechtsstaatlich machen. Die Suggestion, das Opfer von Freiheitsrechten am Altar der Sicherheit würde uns ein Leben in Freiheit und Sicherheit garantieren, führt in die Irre. Eine Bürgerrechtspartei hat ihre Bewährungsprobe, wenn es um Herausforderungen im Sicherheitsbereich geht. Dann geht es ums Eingemachte: Um den Eintritt für die Rechte des Einzelnen, auch dann wenn es schwierig wird. Wer sicher leben will, muss sich frei fühlen können. Rechtsstaatlichkeit bedeutet, dass die Ausübung staatlicher Macht nur auf der Grundlage der Verfassung und von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zulässig ist, so der Staatswissenschaftler Klaus Stern. Der Rechtsstaat schützt den Einzelnen vor staatlicher Willkür. Der konservativen Idee eines Grundrechts auf Sicherheit müssen wir klar entgegentreten. Wer Sicherheit will, muss ihre freiheitlichen Grundlagen gewährleisten. Dass man das auch erfolgreich meistern kann, haben wir nach 9/11 und trotz Otto Schily bewiesen. Wir wollen eine gut ausgestatte Polizei, die sich ihrer Grundrechtsbindung bewusst ist. Wir wollen aber auch unverhältnismäßige Polizeigewalt verhindern und dort, wo dies nicht gelingt, konsequent ahnden. Wir wollen das Verbot des racial profiling durchsetzen und dort, wo es dennoch zu Diskriminierung durch die Polizei kommt, den Betroffenen zur Seite stehen.

Grüne Erkennbarkeit erreicht man durch „dezidierte Haltung“ statt „Sprechblasen“. So ähnlich hatte das Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schon ausgedrückt, allerdings in Bezug auf das rechtsstaatsliberale Selbstverständnis einer anderen Partei. Leutheusser-Schnarrenberger hat bei der Vorratsdatenspeicherung gezeigt, was Rechtsliberalismus heißt und wie das geht. Chapeau! Wollen wir als Partei auch widerständig sein wie eine einsame Rechtsstaatsanwältin in einer einst liberalen Partei? Die FDP hatte die Mahnungen ihrer damaligen Justizministerin in den Wind geschlagen und sich für einen einseitigen Steuerwahlkampf entschieden. Damit hat sie den eigenen Untergang besiegelt. Auch Lindners FDP gibt dem Populismus Vorrang vor freiheitlich, rechtstaatlichen Positionen. Und der Niedergang der Piraten hat auch die publizistische Aufmerksamkeit für Freiheit und Grundrechte geschwächt, denn Konkurrenz belebt das Geschäft.  Deshalb ist klar: Wenn wir diese Position nicht füllen, dann ist der Rechtsstaatsliberalismus heimatlos. Denn spätestens seit Wagenknecht ist klar, dass er auch in der Linken keine Zukunft hat, von der SPD und ihren ständig gebrochenen bürgerrechtlichen Versprechen ganz zu schweigen.

Wenn die Wähler*innen uns kämpfen und standhalten sehen, werden sie verstehen, dass Grün einen Unterschied macht. Wir brauchen als Grüne ja nicht auf’s Bierzelt zu schielen, sondern sollten uns auf die liberalen Überzeugungen in der Kernwählerschaft konzentrieren. Man kann nicht gleichzeitig bürgerrechtliches Korrektiv und grüner Sheriff sein. Die Rolle des Mahners hat auch ihren Preis. Man kann wohl in diesem Politikfeld nie ganz Mainstream sein. Das muss aber auch nicht der Anspruch sein. Mit Haltung und Vernunft 2 bis 3 % mehr zu mobilisieren, ist angesichts der jetzigen Umfragen schon etwas. Dafür müssen wir zeigen: Wir nehmen die Grundrechte ernst und verteidigen sie gegen übermäßige Eingriffe des Staates. Wir stehen für unsere offene Gesellschaft ein und stellen uns ihren Feinden entgegen.

Grün macht den Unterschied: Rechtsstaatsliberalismus wird aus Mut gemacht!

Eine kürzere Version dieses Beitrags ist in der Frankfurter Rundschau erschienen.

2 Gedanken zu „Der Rechtsstaatsliberalismus braucht eine politische Heimat

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