Im Internet wird die Behauptung kolportiert: „Beck: Deutsche sollen Arabisch lernen“.
Das ist Unsinn. Traurig, dass beim Run auf Klickzahlen und Sensationen solche Verdrehungen auch von seriösen Nachrichtenseiten verbreitet werden. Zunächst hier, was gefragt und von mir geantwortet wurde [Das ganze Interview finden Sie hier als Video] Weiterlesen →
Sehr geehrter Herr Bundesminister,
sehr geehrter Herr Dr. Schuster,
Herr Botschafter,
Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
Lassen Sie mich mit einem dreifachen Dank beginnen
Lieber Frank-Walter, es ist mir eine besondere Freude, dass Du heute die Laudatio gehalten hast.
In dieser außenpolitisch schwierigen Zeit, von Ukraine über Russland bis Iran, von der Türkei über Syrien bis zum Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser müssen wir dir danken, wie Du mit klarem Kompass navigierst. Vielen Dank, dass du heute die Zeit gefunden hast.
Toda Raba, lieber Herr Schuster. Ich bin überwältigt von ihren herzlichen Worten.
Vielen Dank für Ihren Applaus, meine Damen und Herren.
Leo Baeck war ein ganz Großer, a Mentsh. Er war Theologe, Seelsorger und – heute würde man sagen –
ein mutiger und standhafter Menschenrechtsverteidiger. Es ist eine unermesslich große Ehre,
diesen Preis verliehen zu bekommen. Die Größe seines Namens und Werkes, die Liste der bedeutenden Frauen und Männer, die diesen Preis vor mir erhielten, beeindrucken mich und deshalb stehe ich etwas kleinlaut und vor allem demütig vor Ihnen. Aber auch voller Stolz darauf, dass Sie mich für würdig befunden haben.
Denn was habe ich schon Besonderes getan? Nichts. Wofür ich gearbeitet habe? Es sollten eigentlich alles Selbstverständlichkeiten sein:
*dass Opfer des Nationalsozialismus eine Entschädigung bekommen,
ohne dass immer wieder bürokratische Hürden aufgebaut werden,
*dass Juden in Deutschland ihre Religion
frei von der Verfolgung durch deutsche Staatsanwälte leben können,
*dass man in unserem Land nicht gegen Juden hetzen darf,
*dass der jüdische und demokratische Staat Israel
nicht strengeren Maßstäben unterworfen wird als andere Staaten.
Dass Ihnen meine Arbeit, mein Einsatz, dennoch einen Preis wert ist, zeigt, dass nichts davon ein Selbstläufer ist. Der Preis ist für mich daher Ansporn und Verpflichtung zugleich, für die Selbstverständlichkeit dieser Selbstverständlichkeiten in den nächsten Jahren weiter in Parlament und Öffentlichkeit zu streiten!
Das Leben und das Werk von Leo Baeck, als Rabbiner und Intellektueller, wirken bis heute. Er war zu seiner Zeit der bedeutendste Vertreter des liberalen Judentums, Führungsfigur und Repräsentant der deutschen Juden in der schwierigsten und schrecklichsten Zeit für Juden auf dem Boden dieses Landes und in Europa.
Leo Baeck war ein Mann des Geistes. Seine Mission war es, gegen eine christliche Polemik anzuschreiben, die das Jüdische als „dunklen“ Kontrast für die „helle“ christliche Botschaft missbrauchte und dabei vergessen machte, wie jüdisch die Botschaft und das Leben des Juden Jesus war.
Die Geschichte des Antisemitismus hat tiefe Wurzeln im Antijudaismus des Christentums. Bis heute sichtbar im Figurenschmuck der gotischen Kathedralen mit der blinden Synagoge und der ecclesia triumphans. Es folgten die Schriften Luthers. In der Auseinandersetzung mit Vorlesungen und Werk des protestantischen Theologen Adolf von Harnacks, „Das Wesen des Christentums“, wandte sich Baeck früh gegen eine christliche Apologetik auf Kosten des Judentums. Hervorgegangen daraus ist als Antwort Baecks Werk „Das Wesen des Judentums“. Baecks „Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte“ von 1938 machte ihn zum geistigen Mentor des christlich-jüdischen Dialogs.
Nachdem er im 1. Weltkrieg noch als Feldrabbiner an der Front diente, in der Weimarer Republik als Theologe, Seelsorger und Gelehrter vielfältig wirkte, durchlebte er die Abgründe unserer Geschichte. Es folgten die Jahre der Entrechtung, Demütigung, Willkür und Deportationen, die im millionenfachen Mord an den europäischen Juden endeten.
Baeck erlebte das Grauen von Theresienstadt und auch die Befreiung durch die Alliierten.
Vier seiner Schwestern überlebten die Shoa nicht, genauso wie 6 Millionen weitere Jüdinnen und Juden. Das dürfen wir niemals vergessen.
Aus der Shoa erwächst eine Verpflichtung, die über den, oft leichthin verwendeten Ausspruch „Nie Wieder“-hinauswächst.
Diese Verpflichtung darf man nicht in Sonntagsreden sakralisieren, sie ist alltäglicher Handlungsauftrag: Die Verpflichtung des „Nie wieder“ muss sich auch auf das beziehen, was Ausschwitz vorausging: Auf christlichen Antijudaismus, völkischen Antisemitismus und Rassismus.
Hier gilt es im Alltag Haltung zu zeigen, im Kampf gegen Hate-Speech auf Facebook, am Stammtisch und im Fußballstadion.
Wir haben in den letzten Jahren erlebt, wie schnell die Stimmung im Deutschland der Sommermärchen kippen kann. Ich erinnere an die rassistischen und antisemitischen Auswüchse in der Beschneidungsdebatte, an die „Juden ins Gas“-Rufe während antiisraelischer Demonstrationen und
an über 600 Angriffe und Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in diesem Jahr.
Aus unserer Geschichte erwächst der Auftrag zu einer Kultur des Respekts, zum Hinsehen und zum Widerspruch. Herr Schuster, Sie haben in Ihrer Eingangsrede beschrieben, wie wichtig eine klare Haltung ist. „Ja, wir schaffen das!“ – Eine andere Haltung kann es nicht geben, wenn Menschen bei uns vor Krieg, Gewalt und Verfolgung Schutz suchen. Das schulden wir auch unserer Geschichte.
Es sei daran erinnert, wie Jüdinnen und Juden vor dem nationalsozialistischen Deutschland flohen
und man ihnen die Aufnahme verweigerte.
Unvergessen das Desaster der Konferenz von Évian und die Beschränkung der Einwanderung für jüdische Flüchtlinge nach Palästina durch das britische Weißbuch von 1939. Die Odyssee der MS-Louis,
die ein halbes Jahr nach den Novemberpogromen im Mai 1939 in See stach. Damals verweigerten die USA und Kuba die Aufnahme der fast tausend jüdischen Flüchtlinge.
Eine Lehre aus diesem Versagen bei der Rettung der Juden aus den Fängen der verbrecherischen Deutschen war das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention. Manchmal gelingt es nicht oder nicht gleich, einem verbrecherischen Regime an dessen Taten zu hindern. Aber man kann und muss denen Schutz gewähren, die vor ihm geflohen sind.
Ich kann in der heutigen Flüchtlingsdiskussion die Befürchtungen in den jüdischen Gemeinden nachvollziehen, dass syrische Flüchtlinge ein anerzogenes Feindbild von Israel und den Juden mitbringen könnten und dass dies in Bedrohung und Gewalt umschlagen könnte. Aber ich warne auch vor einer self-fulfilling prophecy.
Diese syrischen Flüchtlinge wurden selbst Opfer eines Systems, das diesen Hass auf Juden und Israel schürte. Deshalb liegt in der aktuellen Situation auch eine Chance auf Infragestellung, Neuanfang und Perspektivwechsel, der wir mit Mut und Klarheit begegnen sollten. Wir müssen Ihre Befürchtungen,
meine Damen und Herren, in konkrete Integrationsaufgaben übersetzen.
Selbstverständlich ist es mit der Errichtung von Leichtbauhallen und Zeltstädten nicht getan.
Wir müssen den Menschen, die aus Diktaturen fliehen, unsere demokratischen Werte vorleben und vermitteln.
Dieses Deutschland wird jünger und vielfältiger. Es wird sich verändern, ebenso werden dies die Menschen tun, die nun neu zu uns kommen. Grundlage unseres Zusammenlebens ist das Grundgesetz,
sind Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit vor dem Gesetz und die Lehren und die Verantwortung vor unserer Geschichte.
Da stehen wir Seit‘ an Seit‘: Wer hier dazu gehören will, der muss Nein sagen zu Antisemitismus, Rassismus und Homophobie – egal ob er aus Dresden oder Damaskus kommt. Wer hier politisch mitreden will, muss akzeptieren: Über das Recht Israels auf Existenz und Sicherheit gibt es keine Diskussionen!
Lassen Sie uns das Neue als Chance begreifen, Aufgaben und Ziele definieren, Probleme anpacken statt sie zu beklagen. Lassen Sie uns auch den Dialog zwischen Juden, Christen und Muslimen intensivieren.
Ich appelliere hier auch an die muslimischen Vereine und Verbände, sich zu öffnen und dies aktiv zu befördern, für einen Dialog auf allen Ebenen, nicht nur unter Vorständen, sondern auch unter Theologen und unter den einfachen Gläubigen.
Aus einer Position der Festigkeit und des Selbst-bewusst-seins heraus, wie es Leo Baeck 1956 für den
Dialog der drei monotheistischen Religionen formulierte, sollten wir ins Gespräch kommen:
„Sie sollen nicht gleich werden, und sie können nicht gleich werden. Sie sollen aber einander verstehen. Verstehen bedeutet zugleich, voreinander Respekt haben, und vor dem anderen kann nur Respekt haben, der vor sich selber Respekt hat …. Dann werden gute Tage kommen. Menschen und Völker und Bekenntnisse werden geschieden bleiben, werden in ihrer Besonderheit weiter leben, aber sie werden wissen, dass sie zusammengehören, Teile der einen Menschheit sind, zusammenleben sollen auf dieser unserer Erde, einander sehend und einander verstehend, und, wenn es Not tut, einander helfend.“
Ich danke hier auch dem Zentralrat der Juden und den Vertreterinnen und Vertretern der Jüdischen Gemeinden im Saal, dass Sie sich immer für die Schwachen, Verfolgten und das Grundrecht auf Asyl eingesetzt haben und wie Sie es gerade gesagt haben Herr Schuster: „in jedem Flüchtling zuerst den Mensch zu sehen.“
Mit dem Mitzvah Day 2015 setzen Sie bewusst ein Zeichen, indem Sie einen Schwerpunkt auf Aktionen und Projekte für Flüchtlinge setzen. Mit vereinten Kräften in unzähligen kleinen Aktionen werden Sie die Welt ein Stück besser machen, gründend auf zentralen jüdischen Werten wie Tikkun Olam, Tzedek und Gemilut Chassadim, also der Verbesserung der Welt, Gerechtigkeit und Mildtätigkeit.
In der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen können wir viel von Ihrer Arbeit beim Zentralrat und in den jüdischen Gemeinden lernen. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind über 200.000 jüdische Kontingentflüchtlinge zu uns gekommen.
Sie haben die Menschen, die zu Ihnen kamen, in Ihren Gemeinden aufgenommen und willkommen geheißen.
Sicher verlief das nicht immer reibungslos. Beachtlich ist die Leistung aber allemal, denn die kleinen Jüdischen Gemeinden in Deutschland haben als Minderheit eine neue Mehrheit integriert.
Aus Ihren Erfahrungen können wir sicherlich viel Wissen schöpfen.
Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder schlagen wir Hilfesuchenden die Tür vor der Nase zu.
Das ist weder rechtlich noch menschlich eine Option. Oder wir machen es richtig und mit Haltung.
Der Schlüssel dazu heißt Integration und wir kennen die Fehler jahrzehntelanger versäumter Integrationspolitik, die wir nicht wiederholen dürfen. Wir müssen unsere Kommunen bei dieser Mammutaufgabe unterstützen.
Wir müssen uns jetzt, heute, darüber unterhalten, wie aus den Flüchtlingen von heute gleichberechtigte Bürger von morgen werden. Das funktioniert nur durch Bildung, Integrationskurse und praktischer Hilfe für traumatisierte Menschen. So können wir demokratische Werte leben und vermitteln.
Herr Schuster, Sie haben meinen Einsatz für die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus erwähnt. Wie kam das eigentlich? Ich will das nur kurz erzählen, weil es mich tief geprägt hat.
In den 80er-Jahren gelang es, das Thema der „vergessenen Opfer“ des Nationalsozialismus auf die politische Tagesordnung zu setzen, die in Wirklichkeit ausgegrenzte Opfer waren. Homosexualität war zu der Zeit zwar nicht mehr strafbar. Aber wohl lebten wir schwulen Männer am Rand der Gesellschaft, z.T noch mit Rosa Listen geächtet. Die Opfer der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung waren nicht rehabilitiert.
Es gab nicht nur ausgegrenzte Opfer, wie Wehrmachtsdeserteure, Zwangssterilisierte oder Homosexuelle.
Ich musste lernen: Auch vielen Angehörigen der anerkannten Opfergruppen, Juden, Sinti und Roma, Oppositionelle, war durch eine Vielzahl von Bestimmungen und Fristen der Zugang zu Entschädigungsleistungen verwehrt. Etwas, was so gar nicht
zum manchmal selbstgefälligen Narrativ der historischen Aufarbeitung passte. Ein Grund, dass man zig Schlussstrichversuche durchkreuzen musste.
Als ich Ignatz Bubis s.A. in den 90er-Jahren kennenlernte, haben wir eine ungewohnte Solidarität erlebt. Dass damals der Zentralrat der Juden gemeinsam mit uns Gerechtigkeit und Gedenken für die Homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus einforderte, war eine starke Geste. Die Geschichte von Ausgrenzung und Diskriminierung prägt uns Angehörige von Minderheiten und man erkennt in der Bedrängnis der anderen die eigene.
Und die Benachteiligung des einen heute kann auch immer eine Gefahr für die morgige Freiheit des anderen sein. Solidarität unter Minderheiten kann daher eine wichtige Quelle für die demokratische Erneuerung einer Gesellschaft sein, da sie in eigener Sache das Allgemeine erkennt.
Diese Grunderfahrung beschreibt Leo Baeck in „Das Wesentum des Judentums“ wie folgt: „Die Knechtung der Juden war nie eine vereinzelte Erscheinung, sondern nur ein Moment, freilich das traurigste,
in einer allgemeinen Unterdrückung. Und ebenso ist ihre Emanzipation überall nur ein Teil …
in der Befreiung des ganzen Volkes gewesen. … Nicht nur um uns handelt es sich, wo es sich um uns handelt. … Wir verlangen nicht, dass man uns ehre, sondern nur, dass man das Recht und die Wahrheit ehre.“
Dies lebten Männer wie Ignatz Bubis s.A., und Paul Spiegel, s.A. in ihrem Einsatz für andere Minderheiten in beispielloser Weise vor. Sie wussten: Wenn in der Mehrheitsgesellschaft der Wind rauer wird oder an den Rechten Einzelner gekratzt wird, trifft es irgendwann uns alle.
Deshalb freue ich mich, dass sich die Amadeu Antonio Stiftung, liebe Anetta Kahane,
und der Lesben- und Schwulenverband, lieber Günter Dworek, mit meinem Preisgeld in ein gemeinsames Projekt begeben, um Homosexuellenfeindlichkeit zu bekämpfen.
Meine Damen und Herren, heute vor 20 Jahren, am 4. November 1995, starb mit Jitzchak Rabin durch die Kugeln eines Extremisten nicht nur ein Mensch, sondern auch eine Idee.
In Ihrer Dankesrede zum Leo-Baeck-Preis betonte die Bundeskanzlerin 2007, es erwüchse aus dem Preis auch die Verantwortung, – ich zitiere – „Heute und in Zukunft für die Sicherheit des Staates Israel und für unsere gemeinsamen Werte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzutreten.“
Ich glaube, ich spreche für alle im Saal, dass wir diesen Satz so unterschreiben können.
Die Raketen aus dem Gaza-Streifen, Terroranschläge und barbarische Messerattacken gegen die israelische Zivilbevölkerung zeigen, wie notwendig unser Eintreten für die Sicherheit Israels ist.
Für die Sicherheit Israels ist deshalb eine friedliche Regelung mit seinen Nachbarn unerlässlich.
Wir müssen weiter gemeinsam auf ein Ende der Gewalt zwischen Israelis und Palästinenser hinarbeiten und ihnen da Unterstützung anbieten, wo es notwendig ist. Und angesichts der Messerattacken auf israelische Bürger in den letzten Tagen und Wochen muss man sagen, dass ist durch nichts zu rechtfertigen!
Die israelische Regierungspolitik macht es uns nicht immer leicht, deren Handeln nachzuvollziehen.
Zugegeben, wäre ich Israeli, ich hätte diese Regierung nicht gewählt. Lieber Frank-Walter,
ich muss aber auch gestehen: Für die Bundesregierung, der Du angehörst, habe ich aber auch nicht gestimmt.
Jitzchak Rabin hatte den Mut, aus einer Idee zum Frieden tatsächlich Realität werden zu lassen.
Die Bedingungen heute sind wahrlich nicht besser als vor 20 Jahren. Gewalt, Frustration und Misstrauen beherrschen das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern. Doch für den Bestand Israels als jüdischer und demokratischer Staat ist ein Friedensschluss unerlässlich. Hier sollten Deutschland und Europa eine aktive Rolle bei der Lösung des Konfliktes übernehmen. Nur wer etwas Relevantes zur Lösung der Probleme anzubieten hat, wird auch tatsächlich eine Rolle bei der Vermittlung des Konfliktes beitragen können. Weitere Besserwisser braucht es in der Region allerdings nicht.
Es gibt manches, worüber man in Israel streitet und mit der israelischen Regierung streiten möchte.
Ich wünsche mir aus Deutschland mehr Empathie und mehr Fairness, wenn Israel dämonisiert, delegitimiert und mit doppelten Standards angegriffen wird.
Meine Damen und Herren, Ich danke Ihnen, dass Sie heute gekommen sind und ich danke dem Zentralrat der Juden in Deutschland, mir mit dem Leo-Baeck-Preis diese große Verantwortung zu übertragen.
Ich verstehe das als Auftrag, weiter für Demokratie und Freiheit zu kämpfen und mich mit ihnen allen gemeinsam jeder Form von Antisemitismus, Rassismus, Antiziganismus und Homosexuellenfeindlichkeit in den Weg zu stellen.
Femen auf dem Altar im Kölner Dom. Empörung über die Entlassung einer geschiedenen Erzieherin eines katholischen Kindergartens, Streit zwischen Papst und dem Satiremagazin Titanic vor Gericht, Lob und Tadel für die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen. Das wachsende Unverständnis zwischen Gläubigen und überzeugten Atheisten zeigt, wir brauchen angesichts gewachsener weltanschaulicher und religiöser Pluralität eine neue Verständigung über das gesellschaftliche Miteinander.
Nur wenige Themen bieten ein ähnlich explosives Konfliktpotential wie Debatten zwischen Anhängerinnen und Anhängern verschiedener religiöser und/oder säkularer Gruppen. Nicht nur in unserer Partei nehmen diese Konflikte beständig zu. Wir müssen deshalb Fragen klären: Welche Stellung haben Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in unserer Gesellschaft? Ist unser Religionsverfassungsrecht noch zeitgemäß? Wo gibt es Reformbedarf und wo muss die religiöse Freiheit vor Einschränkungsversuchen durch Andersdenkende verteidigt werden?
Kompromisse sind schwierig und selten für alle Seiten zufrieden stellend. Wichtiger als die Positionierung bei einzelnen Streitfragen ist die Entwicklung eines programmatischen Kompass für die Religionspolitik. Respekt, weltanschauliche Neutralität des Staates und die drei Dimensionen der Glaubensfreiheit scheinen uns geeignete Grundlagen um die grüne Religionspolitik gemeinsam auszurichten.
Grüne Politik ist immer auch eine Politik der Freiheit. Deshalb darf die Größe religiöser oder säkularer Institutionen und Bewegungen kein Argument für oder gegen die Formulierung von notwendiger Kritik sein, gerade wo gesellschaftliche Macht Freiheiten beschränkt. Insbesondere dann, wenn sich Religionsgemeinschaften als Arbeitgeberinnen einen Wirtschaftszweig aufbauen, die mancherorts hegemonial sind. Weiterlesen →
Ob Bildungsplan oder Lunacek-Bericht – gegenwärtig wird beim Thema Bürgerrechte für LGBTI* gegen Selbstverständlichkeiten wie Gleichheit vor dem Gesetz, Ahndung von Hassdelikten und Förderung von Respekt im Zusammenhang mit minderheitenfeindlichen Suaden der Untergang des Abendlandes beschworen. Während Lesben, Schwule und Transgender für sich nur den gleichen rechtlichen Schutz wie andere Minderheiten reklamieren, versucht man einen ideologischen Popanz von Sonderrechten und Privilegien aufzubauen. Dabei scheuen sie nicht vor Manipulationen zurück. Denn gegen einen Popanz lässt sich leichter für eine Ideologie der Ungleichheit Kampagne machen. Auch das christliche Nachrichtenportal idea.de präsentierte auf seiner Webseite einen Artikel unter dem Titel:
Kolportiert wird in dem Bericht, das EP fordere „Sonderrechte“ für LGBTI*. Kronzeugin für die sachwidrige These ist Gabriele Kuby. Dazu schrieb idea u.a.:
Publizistin: Abschaffung moralischer Normen zerstört Glaube und Gesellschaft Scharfe Kritik an dem Lunacek-Bericht übte auch die Publizistin Gabriele Kuby (Rimsting/Oberbayern), die dem Kuratorium des Forums Deutscher Katholiken angehört. Nach ihrer Ansicht zerstört die Abschaffung moralischer Normen der Sexualität Familie, Gesellschaft und den Glauben an Gott: „Dies führt in einen neuen Totalitarismus.“
Im Blick auf die Forderung des Lunacek-Berichts, sogenannte „Hassdelikte“ gegen sexuelle Minderheiten strafrechtlich zu verfolgen, fragt Kuby: „Warum nicht auch ‚Hassdelikte‘ gegen Christen, Muslime und andere,nämlich alle?“ Laut Kuby geht es bei dem Thema „nur noch um Macht“. Deshalb sei „massenhafte Gegenwehr“ nötig. Sie beginne bereits, sich in zahlreichen Ländern Europas zu regen. So hätten Eltern in Frankreich angefangen, die Schulen einmal im Monat zu bestreiken, um gegen eine „Gender-Indoktrinierung“ zu protestieren.“
Der Skandal – laut Kuby ist also, dass Hassdelikte gegen sexuelle Minderheiten strafrechtlich verfolgt werden sollen, Hassdelikte gegen Christen und Muslime dagegen nicht. Verbrechen wie an Klaus Peter Beer, der wegen seiner Homosexualität 1995 von einem Täter aus dem Umfeld der NSU in Amberg ermordet wurde (WAMS 9.2.2014), sind aus ihrer christlichen Überzeugung offensichtlich kein Anlass dazu, den Schutz vor Homosexuellenfeindlichkeit analog zu dem vor Rassismus auszugestalten. Gegen den „ungeheueren Machtanspruch“ meint sie zur „massenhaften Gegenwehr“ aufrufen zu müssen. Und idea leiht diesem Ressentiments auch die Überschrift.
„die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt oder Hass gegen eine nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definierte Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen“
Dieser Rahmenbeschluss wurde vom deutschen Gesetzgeber in § 130 StGB umgesetzt:
(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören,
1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,
wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Bei twitter habe ich Idea hierauf hingewiesen:
Nun stellt sich die Frage: Warum wurde die entsprechende Aussage von Frau Kuby (nur) entfernt? Sie hat sie ja tatsächlich geäußert. Warum sollen die Leser von idea nicht erfahren, dass es den entsprechenden Schutz für Christen, Muslime und Juden tatsächlich schon gibt und es also eben nicht um Sonderrechte, sondern nur um gleichen Schutz geht?
Weil dann die Propaganda gegen die angeblichen Vorrechte für LGBTI* in sich zusammenfiele? Vielleicht sollte sich idea nicht nur die Kritik von Michael Diener, dem 1. Vorsitzenden der Evangelischen Allianz, an der „Sündenhierarchie“ mancher Evangelikalen zu Herzen nehmen, sondern auch darüber nachdenken, ob es nicht dem gesellschaftlichen Frieden dienen würde, wenn man dafür eintreten würde, dass jede und jeder vor Diskriminierung, Hetze und Gewalt aus Gründen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität geschützt wird.
Warum sollte es nicht möglich sein, dass wir alle zusammen, Lesben, Schwule und Transgender gemeinsam mit Juden, Muslimen und Christen, einschließlich der Evangelikalen, gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, von Christenverfolgung bis zur Verfolgung von Lesben, Schwulen und Transgender, zu kämpfen?
Der gemeinsame Appell ist am 8. November 2013 in der Berliner Zeitung erschienen
Vor 68 Jahren endete mit der Kapitulation Deutschlands der Zweite Weltkrieg und damit der nationalsozialistische Terror. Sechs Millionen Juden, über drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene, 500.000 Sinti und Roma, 200.000 Opfer der „Euthanasie“-Programme und der Zwangssterilisation, tausende Homosexuelle und Widerstandskämpfer fielen der erbarmungslosen Mordlust der Nazis zum Opfer. Doch bis heute kämpfen bestimmte Opfergruppen um ihre Ansprüche und die Anerkennung der Verbrechen, während Gedenkstätten um ihren Erhalt bangen.
Die Bundesrepublik Deutschland hat lange genug auf Zeit gespielt. Wir appellieren deshalb an den 18. Deutschen Bundestag, unabhängig von Koalitionen und Parteibüchern, die letzte Chance zu nutzen. Wer vor 68 Jahren befreit wurde und noch am Leben ist, hat die Blütezeit seines Lebens hinter sich. Statt bewegender Reden fordern wir Taten. 2017 ist es zu spät.
Volker Beck bei der Abstimmung im Bundestag mi Stimmkarte (Foto: Kohlmeier)
Der Bundestag hat heute in namentlicher Abstimmung mehrheitlich (MdB: 580 | Ja: 434 | Nein: 100 | Enthaltung: 46) für die Straffreiheit der Beschneidungen minderjähriger Jungen gestimmt. Um mein Abstimmungsverhalten zu begründen, möchte ich auf die Erklärung nach §31 GO verweisen, die ich gemeinsam mit Claudia Roth, Katrin Göring-Eckardt, Konstantin von Notz, Marieluise Beck, Kerstin Müller, Cornelia Behm, Josef Winkler, Tom Koenigs, Sven-Christian Kindler, Kerstin Andreae, Hermann Ott, Lisa Paus abgegeben habe. Weiterlesen →
Erklärung nach §31 GO zum Zusatztagesordnungspunkt 1
Wir stimmen der Forderung an die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist, zu.
Die Rechtsauffassung einer kleinen Strafkammer des Kölner Landgerichts hat zu tiefgreifender Verunsicherung bei Ärzten und jüdischen und muslimischen Eltern geführt. Bei der Beschneidung von Jungen handelt es sich um einen klassischen Grundrechtskonflikt, der im Wege der praktischen Konkordanz auszugleichen ist, wobei jede Grundrechtsposition optimal zu verwirklichen ist.
Eine Beschneidung ist tatbestandlich – wie jede Operation – eine Körperverletzung, die durch rechtswirksame Einwilligung gerechtfertigt werden kann und dann straffrei ist. Bei Minderjährigen handeln grundsätzlich die Eltern stellvertretend für das Kind und sind dabei an das Kindeswohl gebunden. Die Wahrung der körperlichen Unversehrtheit und das Recht des Kindes als vollwertiges und gleichberechtigtes Mitglied einer Religionsgemeinschaft aufzuwachsen, sind jeweils Aspekte des Kindeswohls. Der körperliche Eingriff bei einer Beschneidung ist ein irreversibler Eingriff mit niedriger Eingriffstiefe, soweit er medizinisch fachgerecht durchgeführt wird. Er wird zum Teil auch aufgrund von hygienischen und prophylaktischen Überlegungen durchgeführt. In den abrahamitischen Religionen ist das Beschneidungsgebot das erste und zugleich die Begründung des Bundes mit Gott. Daher ist es für Juden zentral und für die meisten Muslime unverzichtbar.
Der Staat muss bei einer rechtlichen Regelung darauf achten, dass die Beschneidung medizinisch fachgerecht von qualifizierten Fachleuten durchgeführt wird. Hierdurch verwirklicht er das Kindeswohl und schützt die Gesundheit des Kindes (Art. 2GG). Im Falle einer Illegalisierung der Beschneidung käme es sicher häufiger zu nicht fachgerechten Eingriffen durch unqualifizierte Beschneider. Dies gilt es zu vermeiden. Jüdischer Glaube, Islam und Christentum gehören zu Deutschland. Dies wollen wir heute mit unserer Abstimmung auch zum Ausdruck bringen.
Unterzeichnet von: Volker Beck (Köln), Renate Künast, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae, Marieluise Beck (Bremen), Fritz Kuhn, Claudia Roth (Augsburg)
Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung vom 9. Juli 2012
Ein Zwischenruf in der Debatte zur religiösen Beschneidung von Jungen
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
in den letzten Tagen erreichten uns viele Reaktionen auf unsere kritische Haltung zum Urteil einer kleinen Strafkammer des Kölner Landgerichts. Dieses sieht in der Beschneidung der Penisvorhaut (med. Zirkumzision) bei minderjährigen Jungen eine strafbare Körperverletzung, auch wenn die Einwilligung der Eltern religiös motiviert ist. Damit wurde eine Debatte befeuert, die Millionen von Menschen in Deutschland und weit darüber hinaus bestürzt und verunsichert. Diese – soweit uns bekannt – einmalige gerichtliche Entscheidung ist für andere Gerichte und die Staatsanwaltschaften in Deutschland nicht bindend. Sie schafft keine verbindlichen Verhaltensregeln in der Gesellschaft. Mit einem juristischen Kunstkniff (Freispruch für den angeklagten Arzt trotz angeblicher Strafbarkeit wegen eines zu entschuldigenden Verbotsirrtums) wurde eine höchstrichterliche Klärung verhindert.
In der Diskussion müssen die Auswirkungen rechtlicher Diskurse auf unsere multikulturelle Gesellschaft, in der wir Muslimas und Muslime willkommen heißen und uns über die Wiederkehr jüdischen Lebens nach Deutschland freuen, beachtet werden. Wir möchten Weiterlesen →