Neubestimmung des kirchlichen Arbeitsrechtes!

Zeit Christ und Welt

Die Zeit – Christ & Welt, 18. April 2013

Am 18. April 2013 erschien bei „Christ und Welt“, eine Beilage der ZEIT, ein Artikel von mir zur Reform des Kirchenarbeitsrechts. Ein zeitgemäßes Verfassungsverständnis muss durch eine Neujustierung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung tragen. Dafür will ich in einem Dialog mit den Kirchen streiten. Der Artikel ist Teil eines „Pro und Kontras“.  Mein „Gegenpart“, Pascal Kober von der FDP, sagt in seinem Artikel in langen Worten eigentlich nur: „Alles soll so bleiben, wie es ist!“

Hier mein ganzer, ungekürzter Artikel:

Wir brauchen eine Neubestimmung des kirchlichen Arbeitsrechtes

Das kirchliche Arbeitsrecht passt, so wie es praktiziert wird, nicht mehr in unsere Zeit. Seine Akzeptanz schwindet. Besonders prominent wurde ein Fall einer Kindergärtnerin  aus Königswinter: der beliebten und erfolgreichen Leiterin einer katholischen Einrichtung wurde gekündigt, weil die geschiedene Frau neu geheiratet hat. Die Eltern der Kinder organisierten sich und setzen durch, dass die katholische Kirche nun nicht mehr Trägerin des Kindergartens ist. Bei diesem Fall wurde besonders deutlich, welche Folgen die Sonderregelung des kirchlichen Arbeitsrechts mit sich bringen: hartherzige Entscheidungen und Rechtsunsicherheit für die Angestellten.

Kirchliche soziale Einrichtungen müssen ihren konfessionellen Charakter wahren können. Ob die gegenwärtige Praxis des kirchlichen Arbeitsrechtes hierfür noch geeignet ist, wird aber auch innerhalb der Kirchen und in den kirchlichen Verbänden inzwischen kontrovers diskutiert – zu Recht.  Es gibt bereits im allgemeinen Arbeitsrecht Grundsätze, die von einem Arbeitnehmer loyales Verhalten verlangen. Wie weit dies jeweils gehen darf, sollte von der Bedeutung der Tätigkeit für den Charakter der Einrichtung abhängen. Ist es wirklich eine Verletzung des katholischen Charakter seines Krankenhauses, wenn der geschiedene Hausmeister heiratet? Darf das Eingehen einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft in einer pluralen Gesellschaft ein Kündigungsgrund sein? Ist der privat vollzogene Kirchenaustritt einer Köchin im Altersheim ein so schwerwiegender Vertrauensbruch, dass er eine Entlassung rechtfertigt?

Dies sind Fragen, zu denen wir mit den Kirchen in einen Dialog treten wollen. Die Loyalitätsanforderungen des Arbeitgebers auf die private Lebensführung seiner Mitarbeiter passen nicht eine demokratische Gesellschaft. Aber auch die Religionszugehörigkeit kann nicht in jedem Fall Voraussetzung für das Arbeitsverhältnis im Tendenzbetrieb Kirche sein. Zumal die Praxis innerhalb der Religionsgemeinschaften ganz unterschiedlich ist: Ein Bistum toleriert homosexuelle Beziehungen, solange sie „diskret“ bleibt. Andere stellen sogar bewusst im Rahmen der interkulturellen Öffnung gezielt Muslime ein. Im Osten unseres Landes wäre es gar nicht möglich, so viele konfessionelle, soziale Einrichtungen zu betreiben, ohne auch auf konfessionslose Angestellte zurückzugreifen. Wenn ein konfessionsloser Mitarbeiter eingestellt wird, kann der Kirchenaustritt der Kollegin kein Kündigungsgrund sein.

Das Verfassungsverständnis vom praktisch schrankenlosen kirchlichen Selbstbestimmungsrecht auch in Bezug auf das kirchliche Arbeitsrecht stammt aus einer Zeit, als die Deutschen fast ausnahmslos einer der beiden großen christlichen Konfessionen angehörten, als Homosexualität strafbar war, nichteheliches Zusammenleben als sittenwidrig galt, Ehescheidungen erschwert und selten waren. Heute hat sich das Grundrechtsverständnis zur freien Entfaltung der Persönlichkeit wie zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung deutlich verändert, haben sich die Lebensweisen stark pluralisiert, ebenso die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung.

Wir leben und arbeiten in einer pluralistischen Gesellschaft, auch die kirchlichen Einrichtungen werden damit zu Dienstleistern für Menschen aller Religionen und Weltanschauungen, die ihr Leben nach eigenem Gewissen gestalten. Sie arbeiten für alle Bürgerinnen und Bürger und werden von ihnen auch überwiegend finanziert. In dieser Funktion – als Dienstleister und Arbeitgeber im sozialen Bereich – müssen sie sich der Verantwortung bewusst sein, die mit ihrer herausgehobenen Rolle in Bezug auf gesellschaftliche Pluralität einhergeht.

Nach bislang herrschender juristischer Meinung ist es den Religionsgemeinschaften und ihren Einrichtungen gestattet, von sämtlichen Angestellten auch im privaten Bereich ein loyales Verhalten im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses zu verlangen. Die Caritas oder die Diakonie können Beschäftigten kündigen, die gegen die Sitten und Moralvorstellungen der jeweiligen Kirche verstoßen, und dies unabhängig davon, welchen Charakter die Beschäftigung hat – vom Nachtwächter bis zum Diakon.

Auf ähnliche Probleme können Beschäftigte stoßen, die der katholischen bzw. evangelischen Kirche nicht angehören oder aus der Kirche austreten. Insbesondere für Menschen, die für soziale Berufe ausgebildet sind und in Gegenden mit fast ausschließlich kirchlichen Einrichtungen leben, kann die Durchsetzung solcher Loyalitätsanforderungen praktisch zu einem Berufsverbot führen.

Während das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen in den 80iger Jahren  grundsätzlich dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen den Vorrang vor den Grundrechten betroffener Beschäftigter gegeben hat, setzten der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesarbeitsgericht in ihren neuen Entscheidungen nunmehr andere Akzente. Sie verlangen eine Interessensabwägung, die dem Einzelfall gerecht wird. Es gilt einen Ausgleich zwischen den Grundrechten der Angestellten und den legitimen Interessen der Kirchen zu finden. Diese Rechtsprechung wertet die Rechte der Beschäftigten, insbesondere derjenigen, die nicht im verkündungsnahen Bereich arbeiten, auf.

Ein zeitgemäßes Verfassungsverständnis muss durch eine Neujustierung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung tragen. Auch die Kirchen müssen die Wahrung ihres Selbstbestimmungsrecht neu definieren. Sonst wird über kurz oder lang die Frage gestellt werden, ob die Dominanz der caritativen Einrichtungen konfessioneller Prägung, finanziert zum Großteil vom Staat und den Sozialversicherungsträgern, noch zeitgemäß ist. Deutschland ist ein pluralistisches Land, in dem Menschen unterschiedlicher Religionen oder Weltanschauungen für sich unterschiedliche Lebensformen wählen. Sie alle dürfen weder vom Staat noch auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Kirchen und Gesetzgeber sollten die Frage neu beantworten, wie Diskriminierungsschutz, Standards des Arbeitsrechtes und die Wahrung des kirchlichen Charakters von Wohlfahrtseinrichtungen Rechnung getragen wird. Gerade auch viele Christinnen und Christen hoffen darauf.

2 Gedanken zu „Neubestimmung des kirchlichen Arbeitsrechtes!

  1. Cicero

    Kirche ist nicht mehr zeitgemäß? Besser Beschneidungen legalisieren.

    Welcome to Absurdistan.

  2. pinetop

    Sehr geehrter Herr Beck,
    die Angelegenheit kann doch nur eine Konsequenz haben. Wenn nur ein Euro aus dem allgemeinen Steueraufkommen in eine kirchliche Einrichtung fließt, hat auch das allgemeine Arbeitsrecht zu gelten. Das Umgehen des Arbeitsrechts kann nur möglich sein, wenn die Kirchen zu 100% finanzieren. In absehbarer Zeit werden es die glaubenslosen Bürger nicht mehr hinnehmen, dass den Kirchen die Millionen in den Rachen geschoben werden. Entweder die Grünen zeigen hier deutlich Flagge oder es wird sich früher oder später eine dem konsequenten Säkularismus verpflichtete Partei bilden, in den Niederlanden ist dies kürzlich geschehen.

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