FAQ zum Wahlrecht: Die Zweitstimme entscheidet

Foto: Awaya Legends (Creative Commons BY-SA 2.0)

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Über Twitter und per Email erreichen mein Büro und mich regelmäßig nachfragen zum Wahlrecht. Hier der Versuch, auf häufig gestellte Fragen zufriedenstellende Antworten zu liefern

Das neue Wahlrecht bringt das Verhältniswahlrecht klarer zum Tragen als das bisherige Wahlrecht. Wer starke Grüne im Bundestag will, muss deshalb mit Zweitstimme GRÜN wählen! Aber nun zu den Hintergründen und was bewirkt das Verhältnis von Erst- und Zweitstimme.

Warum wurde das Wahlrecht 2008 vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt?
Bereits vor der letzten Bundestagswahl  hatte das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass das Wahlrecht verfassungswidrig war. Es hat dem Gesetzgeber aber eine großzügige Übergangsfrist gesetzt, die erst nach der Wahl ablief, um diesen Fehler zu korrigieren. Beanstandet hatte das Gericht damals das sogenannte „negative Stimmgewicht“. Im alten Wahlsystem war dieser Effekt auf das Engste mit den Überhangmandaten verknüpft. Wer sie beseitigt, beseitigt auch das negative Stimmgewicht. Schon damals war im Übrigen klar, dass die Überhangmandate auch für sich genommen nicht unproblematisch sind.

Was ist das „negative Stimmgewicht“?
Das negative Stimmgewicht umschreibt ein nach altem Wahlrecht auftretendes Phänomen. Hier kann ein Gewinn von Zweitstimmen zum Mandatsverlust und ein Verlust von Zweitstimmen zum Mandatsgewinn einer Partei führen. Das bedeutet, dass die Wählerin oder der Wähler mit seinem Wahlverhalten einer Partei möglicherweise schadet, die er eigentlich unterstützen wollte. Dieser Effekt verkehrt den Sinn der Wahl in ihr Gegenteil und ist daher offensichtlich nicht mit demokratischen Grundsätzen vereinbar.

Was sind Überhangmandate?
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Land mehr Sitze in den Wahlkreisen erringt, als ihr nach dem Ergebnis der Verhältniswahl („Zweitstimme“) zustehen. Sie können im Extremfall z. B. dazu führen, dass Grüne und SPD zwar in der Wahl die Mehrheit der Stimmen erringen – aber die andere Seite dennoch über Überhangmandate die Mehrheit der Mandate im Bundestag erhält und gegen den durch die Wahl manifestierten Willen des Volkes eine Regierung bildet.

Was haben Sie gegen das verfassungswidrige Wahlrecht von Schwarz-Gelb unternommen?
Gemeinsam mit den Verfassungsbeschwerden vieler Bürgerinnen und Bürger haben die Grünen Bundestagsabgeordneten mit Unterstützung der SPD-Abgeordneten einen Normenkontrollantrag  in Karlsruhe eingebracht. Unterstützt wurde das ganze durch einen Antrag im Organstreitverfahren  der Bundespartei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN .

Warum hat es über 4 Jahre gedauert, bis Deutschland wieder ein verfassungskonformes Wahlrecht hatte?
Neben der Gleichstellung homosexueller Paare mit der Ehe war in den letzten Jahren das Wahlrecht das meistbehandelte Thema am Bundesverfassungsgericht. Ursprünglich war das Wahlrecht in Karlsruhe im Sommer 2008 gekippt worden und mit dem Urteil vom Sommer 2012 war auch der Reformversuch der Regierung Merkel gescheitert, den Schwarz-Gelb im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt des Eigennutzes zusammengeschustert hatte. Erst hatte es die Koalition verbummelt und dann ein verfassungswidriges Gesetz verabschiedet. Monatelang hatte Deutschland kein gültiges Wahlgesetz.

Wie ist das neue Wahlrecht entstanden?
Nachdem zunächst Merkels Truppen mit einem verfassungswidrigen Alleingang beim Wahlrecht gescheitert sind, entstand das geltende und verfassungsgemäße neue Wahlrecht nach gemeinsamer Diskussion aller Fraktionen. Es  wurde auch von allen Fraktionen gemeinsam getragen,  bis auf die Linkspartei. Die Linkspartei war zu den fraktionsübergreifenden Gesprächen immer eingeladen. bis die Linkspartei ihre Ablehnung des Kompromisses bekannt gab.

Warum haben die Grünen die Neuregelung des Wahlrecht mitgetragen?
Wir halten die Einigung zum Wahlrecht nur für die drittbeste Möglichkeit. Aber jedes Modell hat seine Vor- und Nachteile. Entscheidend ist, dass der Einigungsvorschlag verfassungsfest ist und allein die WählerInnen mit der Zweitstimme die Kräfteverhältnisse im Bundestag bestimmen – und nicht ein manipulativer Kniff im Wahlrecht. Insofern hat die grundsätzliche Einigung auf ein Modell für den Vollausgleich zu einer tragfähigen, parteiübergreifenden Lösung im Wahlrecht geführt.

Welche Konsequenz hat der Vollausgleich der Überhang- durch Ausgleichsmandate?
Wenn eine Partei mehr Mandate durch Erststimmen erzielt, als ihr durch Zweitstimmen zustehen, entstehen so genannte Überhangmandate. Damit diese das Wahlergebnis nach Zweitstimmen nicht verfälschen, werden diese Überhangmandate durch Ausgleichsmandate vollständig ausgeglichen. Der Bundestag wird beim Entstehen von Überhangmandaten ein ganzes Stück größer. Daher ist es nicht ausgeschlossen, dass der Bundestag mit Überhang- und Ausgleichsmandaten auf eine Größe zwischen 650 und 700 anwächst, was die Soll-Zahl von 598 weit überschreitet.

Ist eine mögliche Vergrößerung des Bundestags keine Geldverschwendung und was unternehmen Sie dagegen?
Die Vergrößerung des Bundestags ist das größte Manko am Gesetz. Wir hatten einen Vorschlag gemacht, der die Überhangmandate mit Listenmandaten verrechnet. So wäre eine Vergrößerung des Bundestages vermeidbar gewesen. Dies lehnten die anderen drei Fraktionen aber ab.

Demokratie kostet aber nun einmal Geld und entscheidend war für uns, dass wir zu einem verfassungsgemäßen Wahlrecht kommen, bei dem die Zweitstimmen entscheiden und nicht mehr manipulative Kniffe im Wahlrecht. Die zu erwartende Vergrößerung des Bundestages weist jedoch klar auf das nächste Stück Reformbedarf hin, da sind sich auch alle Fraktionen einig. Wir Grüne würden das beispielsweise über einen Neu-Zuschnitt der Wahlkreise lösen, denn dann entstehen weniger Überhangmandate und damit auch weniger Bedarf an Ausgleichsmandaten.

In den USA kommen etwa 500.000 EinwohnerInnen auf eineN AbgeordneteN. In Deutschland sind das deutlich weniger. Muss das sein?
Nein, das muss nicht sein. Wir würden deshalb eine Wahlkreisreform begrüßen, an deren Ende weniger Wahlkreise und damit weniger Abgeordnete insgesamt stehen. Allerdings ist der Deutsche Bundestag im Verhältnis nicht so groß, wie man landläufig denkt. Mit 622 Abgeordneten vertritt jeder Abgeordnete etwa 132.300 Personen, womit Deutschland an der europäischen Spitze liegt. Der Europäische Durchschnitt liegt bei 50.900 BewohnerInnen pro Abgeordneter. In Österreich sind es beispielsweise 45.300, in Italien 93.800 und in Frankreich 106.600 Einwohner pro Abgeordneter (Quelle: Der Standard, 2012)

Werden CDU/CSU miteinander verrechnet?
Nein. CDU und CSU sind zwei eigenständige Parteien.

Welchen Vorschlag hatten Sie für ein verfassungsmäßiges Wahlrecht?
Unser Grüner Gesetzentwurf konnte sich leider nicht durchsetzen. Denn der hätte alle Überhang- und Ausgleichsmandate überflüssig gemacht und eine Aufblähung des Parlaments verhindert. Unser Gesetz hätte 598 Abgeordnete genau nach dem per Zweitstimme gewählten Verhältnis zwischen den Parteien geschaffen, nur innerhalb der Fraktionen hätten sich die regionalen Gewichte etwas verschoben. Das waren die anderen am Tisch nicht bereit zu akzeptieren.

Warum hat man die Direktmandate, also die Erststimme, nicht einfach abgeschafft?
Interessante Idee. Darüber lässt sich leider nicht mit den beiden großen Parteien, CDU und SPD, sprechen.

Auch das Wahlrecht für Deutsche, die im Ausland leben, wurde verfassungsgemäß geändert. Was ist neu?
Neu wird das Wahlrecht auch für im Ausland lebende Deutsche geregelt. Bisher durften die Deutschen wählen, die in Deutschland gemeldet sind, aber auch im Ausland lebende Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, wenn sie nach 1949 irgendwann einmal für drei Monate in Deutschland gelebt hatten. Eine in Belgien lebende Deutsche, die noch nie in Deutschland gelebt hat, hatte gegen ihren Ausschluss geklagt, und Karlsruhe hat die ganze Klausel gekippt. Grund: ausschlaggebend müsse die Vertrautheit mit dem politischen Geschehen, die eigene Betroffenheit und die Verbundenheit mit der Bundesrepublik insgesamt sein. Dafür seien drei Monate vor 60 Jahren kein akzeptables Kriterium. Das neue Gesetz folgt eng dem Richterspruch: Nun dürfen alle wählen, die in den letzten 25 Jahren für eine Zeit in Deutschland gelebt haben, aber eben auch die, die „persönlich und unmittelbar Vertrautheit mit den poltischen Verhältnissen in der Bundesrepublik erworben haben oder von ihnen betroffen sind“. Sprich: Arbeitet man im Regierungsauftrag im Ausland oder ist Grenzpendler, dann darf man in Zukunft wählen, auch wenn man nie in Deutschland gelebt hat.

Lohnt es sich noch, wenn Grüne für SPD-Erststimmen werben?
Für uns kommt es erst einmal auf die Zweitstimme an. Aber wer den Wahlkreis gewinnt, ist für die Machtverhältnisse im Bundestag egal. Denn mögliche Überhangmandate werden ab dieser Bundestagswahl vollständig ausgeglichen. Das ist deshalb gut, weil damit dem „taktischen Wählen“ etwas der Raum genommen wurde. Grundsätzlich ist jedes rot-grüne Direktmandat natürlich ein gutes Direktmandat, weshalb es lokal durchaus sinnvoll sein kann, sich abzusprechen. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir Grüne bisher für SPD-Erststimmen geworben haben, meist ohne klare Zweitstimmen-Kampagne der Sozialdemokraten für uns Grüne, ist jetzt jedoch Geschichte.

Last but not least: Was bedeuted das für Ihren Wahlkreis Köln II?
Im Wahlkreis Köln II (Südstadt. Lindenthal, Rodenkirchen) ist die Situation völlig offen. Die Wählerinnen und Wähler haben bei der Erststimme die Wahl. CDU, Grüne oder SPD könnten gleichermaßen das Direktmandat holen. Die CDU verteidigt das Direktmandat mit einem neuen unbekannten Kandidaten, der auf den Veranstaltungen mal dies, mal das erzählt. Er kandidiert gegen die CDU für die CDU. Für Köln und seine Haushaltssituation fällt dem Kollegen Kandidaten vor allem der Kampf gegen die Pferdesteuer ein, die in Köln außer ihm gar niemand ernsthaft diskutiert. Dagegen macht die SPD mit der Stellvertreterin von OB Roters und die Grünen mit mir, einem bundesweit bekannten und in Berlin erfahrenen Politiker, ein Alternativangebot.

Das letzte Mal lagen wir Grünen mit der SPD bei den Zweitstimmen schon gleich auf, haben aber wegen dem alten Wahlrecht bei den Erststimmen die SPD-Kandidatin unterstützt. Diesmal könnten wir auch stärker als die SPD werden. Deshalb gibt es keinen Grund in meinem Wahlkreis, Köln II,  Stimmen zu verschenken.

Grüne Kampagnen für SPD-Erststimmen können konkret vor Ort sinnvoll sein, aber als generelle Haltung gehören die Taktierereien der Vergangenheit an, da ein Direktmandat mehr oder weniger für CDU, SPD oder Grüne nichts an den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag ändern wird. Entscheidend ist Ihre Zweitstimme, mit der Sie die Verteilung der Fraktionsgrößen im Bundestag bestimmen. Mit der Erststimme entscheiden Sie, wem Sie zutrauen, die Anliegen unseres Wahlkreises am wirkungsvollsten in Berlin zu vertreten.

Ich freue mich über jede Stimme, die mir hier ihr Vertrauen ausspricht. Deshalb werbe ich bei dieser Bundestagswahl, als Kölner Abgeordneter mit fast 20 jähriger Erfahrung als Abgeordneter, selbstbewusst um ihre Erst- und vor allem um ihre Zweitstimme für Grün.

2 Gedanken zu „FAQ zum Wahlrecht: Die Zweitstimme entscheidet

  1. Horst Becker

    Stimmensplittung Rot-Grün,

    hier schreibt Volker Beck,es könne sinnvoll sein für SPD-Erststimmen in bestimmten Wahlkreisen zu werben,ein rot-grünes
    Direktmandat könne ein gutes Mandat sein,aber wohl nicht in Köln ?!.
    Darauf hatte ich ihn persönlich angesprochen und angeschrieben.
    Eine solche weit verbreitete ambivalente Haltung angesichts der dramatischen Wahlprognosen und des Ziels „Merkel weg“ wird mitentscheidend für das Wahlergebnis und die Sitzverteilung im neuen Bundestag. Grün-Wähler,auch Erstwähler, werden ungewollt in einigen Wahlkreisen zur Steigbügelhaltern für den CDU-Kandidaten.
    Auch hier ist der Wahlkampf der Grünen wenig kreativ und professionell.
    Die Analysen der Ergebnisse bei den Erststimmmen können zeigen,
    wo man „gute rot-grüne Direktmandate“ fahrlässig verschenkt hat.
    Vielleicht ist es sogar der Wahlkreis IV Köln-Mülheim/Leverkusen mit dem SPD-Kandidaten Karl Lauterbach?

    Alles Gute trotzdem heute am Wahltag!
    Horst Becker (aus Köln)

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