Steht die römische Sexuallehre vor einer kopernikanischen Wende?

Foto:  danny.hammontree (CC BY-NC-ND 2.0)

Foto: danny.hammontree (CC BY-NC-ND 2.0)

Auch wenn deutsche Agenturen titelten (KNA = Katholische Nachrichtenagentur):  „Papst nimmt Schwule in Schutz“ oder (dpa) „Papst Franziskus will offeneren Umgang mit Homosexuellen“, ist weniger passiert als die Schlagzeilen glauben machen. Was Papst Franziskus zum Thema „Homosexualität“ sagte, war alles andere als revolutionär. Das meiste davon findet sich im KATECHISMUS DER KATHOLISCHEN KIRCHE. Dennoch macht es Hoffnung und es lohnt sich genau hinzuschauen. Zumindest einen doppelten Irrsinn seines Vorgängers scheint er  zu den Akten nehmen zu wollen.

Dass Franziskus mit der gleichen Banalitäten wie Aussagen aus dem Katechismus Schlagzeilen macht, zeigt zweierlei:

  1. Das Pontifikat Benedikts und der  vorherige Einfluss Kardinal Ratzingers als Vorsitzender des Heiligen Officiums  auf das römische Lehramt war eine dunkle Zeit für die Kirche.
  2. Die Hoffnung in der Welt und in der römischen Weltkirche ist enorm, die katholische Kirche möge von Ihrer Aquinischen Sexuallehre lassen und sich den Menschen und ihrem Leben zuwenden.

Franziskus weiß auf der Klaviatur solcher Erwartungen zu spielen:  Demonstrative Bescheidenheit, Lampedusa,  Rio – die Kirche bei den Menschen – das ist die Botschaft dieses neuen Papstes, der mit seiner Namenswahl genau diese Hoffnung bewußt geweckt hat.  Ob er diese Erneuerungserwartungen einlösen wird, ist mehr als offen. Wird er die verkrusteten und wohl zum Teil auf korrupten Verhältnissen basierenden Strukturen im Vatikan ausmisten? Und wird er den Mut haben, nach Benedikt XVI. das II. Vaticanum für das Lehramt wieder fruchtbar zu machen? Offene Fragen. Bislang begnügt er sich mit einer PR-Show – vielleicht um Kräfte und Autorität für diese Aufgaben zu sammeln – vielleicht auch um von ihnen abzulenken.

Franziskus zu Homosexualität

Was hat der Papst nun Neues gesagt? Eigentlich nichts – er hat im Wesentlichen nur Altbekanntes neu akzentuiert:  Seit jeher heißt es im Katechismus, Homosexualität sei objektiv ungeordnet, aber: „Man hüte sich, sie (=die Homosexuellen) in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen.“ Diese Aussage geriet im Wirken Roms unter Benedikt XVI. und Johannes Paul II. (und seinem Chefideologen Ratzinger) weitgehend in Vergessenheit. Stattdessen versuchte man jedes Gesetz, das Homosexuelle vor Diskriminierung  oder Zurücksetzung schützen sollte, mit römischer Brachialgewalt zu verhindern. Dass Franziskus hier ein Ausrufezeichen hinter dem Aspekt der Nichtdiskrimierung setzt, ist zumindest ein Manöver, das Aufmerksamkeit verdient. Er hält allerdings weiter an der sophistischen Diktion des Lehramtes fest, zwischen Sünde und Sünder respektive homosexueller Handlung und homosexueller Orientierung zu unterscheiden („Homosexuelle Neigungen seien keine Sünde, homosexuelle Akte aber schon, schränkte er ein.“). Denn so klingt die antihumane Verurteilung der Homosexualität aus Rom seit je her viel freundlicher und schon fast humanistisch.
Mit Franziskus hat sich jetzt also zwar der Ton, nicht aber die Lehre verändert.

Dennoch könnte das  Wording auch der Beginn einer neuen Annäherung an das Thema sein. Er will integrieren statt ausgrenzen, sagt er.  Und er wählt seine Worte anders:  „Wenn jemand homosexuell ist und guten Willens nach Gott sucht, wer bin ich, darüber zu urteilen?“ In diesen Worten stecken Möglichkeiten nach beiden Seiten – zurück zu Benedikt und vorwärts zu neuen Ufern.  Der Katechismus müht sich noch, seine Lehre gegenüber den Homosexuellen weniger rüde aussehen zu lassen, indem er so tut als ob eine beachtliche Zahl der homosexuell Handelnden  gar nicht homosexuell sei („Eine nicht geringe Anzahl von Männern und Frauen sind homosexuell veranlagt.“). Humanwissenschaftlicher Mumpitz, aber klingt halt netter.  Mit dergleichen Finessen hält sich Franziskus zumindest nicht auf. Sein Ausgangspunkt ist der homosexuelle geprägte Mensch.

Dass der neue Papst daraus eine Neubewertung der kirchlichen Lehre zur Homosexualität entwickelt, wäre zu wünschen, ist aber eher unwahrscheinlich. Es wäre eine doktrinäre Herkulesarbeit. Den dafür erforderlichen Mut und die notwendige Konsequenz traue ich Franziskus ehrlich gesagt nicht zu. Die gesamte Sexuallehre müsste dazu – vom Menschen her – neu geschrieben werden. Die jetzige Lehre ist im wörtlichen Sinne mittelalterlich.  Mit ihrer Basierung auf Thomas von Aquin (1225-1274) passte sie schon überhaupt nicht ins 20. Jahrhundert, sie wirkt im 21. Jahrhundert vollends wie aus der Zeit gefallen. Aber zivilgesellschaftliche Selbstverständlichkeiten sind in Rom noch lange nicht realistisch!

Man wäre ja schon für etwas Abrüstung im Vatikan zuweilen dankbar – bedenkt man die Verwüstungen, die die Lehren aus Rom außerhalb von Westeuropa zuweilen noch anrichten.

Wünschenswert Realistisches

Würde Rom zum Thema Sexualität einfach mal 10 Jahre schweigen, wie es mir gegenüber ein hoher Offizieller der deutschen katholischen Kirche als Hoffnung ausdrückte, für die Welt wäre es wie ein Segen. Viel wäre auch schon gewonnen, wenn der Papst sich bei der Diskussion über staatliche Gesetzgebung beim Thema Homosexualität an das II. Vaticanum und dessen zentrale Schrift zur Glaubensfreiheit „DIGNITATIS HUMANAE“ erinnern würde (Siehe BECKSTAGE). Was immer das Römische Lehramt  zum Thema Sexualität und Familie lehrt und seinen Anhängern empfiehlt, der säkulare Verfassungsstaat orientiert sich eben nicht  an religiösen, doktrinären Vorgaben, sondern an den menschenrechtlichen Prinzipien von Würde, Freiheit und Gleichheit. es wäre schön, wenn das auch endlich vom Papst akzeptiert würde.

Würde der Papst soweit gehen, müsste er zwar nicht die Sexuallehre, die seit Thomas von Aquin als Aspekt der Naturrechtslehre (Benedikt XVI. im Bundestag diesbezüglich: „Ökologie des Menschen“) wie in Granit gemeißelt zu sein scheint, in Frage stellen. Er müsste nur endlich zwischen weltlicher und geistlicher Sphäre unterscheiden und beim Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf die unheilige Allianz mit den Organisationen islamischer Staaten aufkündigen.

Das wäre schon viel. Würde er doch seine eigenen Worte als Kardinal in Argentinien und seine Wort als Papst zu den französischen Bischöfen korrigieren. Ist Franziskus bereit, dies für die Renovatio Ecclesiae zu tun? Oder ist sein Name doch nicht mehr als ein Brand auf dem religiösen Markt der Möglichkeiten, eine Marke im Warenzeitalter?

Franziskus‘  kleine Wende

Was immer noch folgt, eine Wende hat Franziskus gegenüber Benedikt auf dem Flug von Rio nach Rom wohl tatsächlich vollzogen: Sie betrifft die Priesterschaft. Es ist ja ethisch eigentlich egal, ob man sein Keuschheitsgelübde bezogen auf homosexuelles oder heterosexuelles Verhalten ablegt. Eigentlich logisch, eine Selbstverständlichkeit sollte man meinen. Nicht bei Benedikt, der in seiner lehramtlichen Sexbessenheit zu einem gegenteiligen Ergebnis kam und dafür natürlich auch eine Schrift aus Rom produzieren ließ.  Selbst wer keusch lebte, war vom Priesteramt ausgeschlossen, wenn er „eine sogenannte homosexuelle Kultur  [was immer der Mann mit den roten Schuhen damit sagen wollte] unterstützen“ sollte.

Zumindest „Die Instruktion über Kriterien zur Berufungsklärung von Personen mit homosexuellen Tendenzen im Hinblick auf ihre Zulassung für das Priesteramt und zu den heiligen Weihen“, vulgo:  „Vatikansprecher: Homosexuelle können nicht Priester werden“ dürfte  jetzt Makulatur sein.  Hoffentlich!

Franziskus hätte damit den doppelten Irrsinn in der Haltung der katholischen Kirche gegenüber Homosexuellen halbiert. Ok, mit gesundem Menschenverstand betrachtet kein Ding, für Rom ein großer Schritt – dennoch und immerhin.

Ein Gedanke zu „Steht die römische Sexuallehre vor einer kopernikanischen Wende?

  1. koelneruwe

    „“Die Instruktion über Kriterien zur Berufungsklärung von Personen mit homosexuellen Tendenzen im Hinblick auf ihre Zulassung für das Priesteramt und zu den heiligen Weihen”, vulgo: „Vatikansprecher: Homosexuelle können nicht Priester werden“ dürfte jetzt Makulatur sein. Hoffentlich!“ Ich wäre schon zufrieden, wenn Franz das durchsetzt. In Anbetracht der Zeiträume, in denen die kath. Kirche schwelgt, wäre das schonmal ein Fortschritt. Es ist nicht das Anliegen der Kirche, den sogenannten gesunden Menschenverstand in ihre heiligen Reihen fließen zu lassen.

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