Eine unbeschwerte Party ist in Baku nicht möglich

Vor dem ESC übergab ich dem Botschafter Aserbaidschans ein T-Shirt, auf dem in aserbaidschanischer Sprache das Wort „Menschenrechte“ aufgedruckt ist.

Vor dem ESC übergab ich dem Botschafter Aserbaidschans ein T-Shirt, auf dem in aserbaidschanischer Sprache das Wort „Menschenrechte“ aufgedruckt ist.

Aserbaidschan rückt durch den diesjährigen Eurovision Song Contest in den Fokus der europäischen Öffentlichkeit. Schon jetzt ist klar, welche Bilder wir hauptsächlich aus dem Staat am Kaspischen Meer zu sehen bekommen werden: imposante neue Gebäude, fröhliche Menschen und eine herrliche Natur. All dies ist auch nicht falsch, denn Aserbaidschan ist ein wunderschönes Land. Doch vieles wird verschwiegen oder vorsätzlich von den Machthabern in Aserbaidschans Hauptstadt Baku vor uns verborgen. Die Bundesregierung – die für gewöhnlich aufgrund diplomatischer Zwänge nicht sonderlich auskunftsfreudig im Bereich von Menschenrechtsverletzungen anderer Staaten ist – stellt dies in einer Antwort auf meine Kleine Anfrage unter Beweis (hier der Link und hier die englische Version/english Version). Das Gesamtbild, das sich aus diesen Antworten ergibt, ist schrecklich und frustrierend

 

Das Land wird regiert von dem diktatorischen Machthaber Ilham Alijew und seinem Clan. Durch die enormen Rohstoffvorkommen des Landes verdienen sie seit einigen Jahren Milliarden an Dollar. Doch außer bei der upper class in Baku kommt von diesem Geld nichts bei der Bevölkerung an. Wer die Innenstadtbezirke Bakus verlässt, fühlt sich schnell, als sei er im sowjetischen Mittelalter gelandet.

 

Alijew hält sich durch Wahlfälschungen an der Macht (siehe hier: Antwort auf Frage 5 der Kleinen Anfrage) auf und unterdrückt jegliche Formen politischer und zivilgesellschaftlicher Opposition, indem er deren Mitglieder verfolgt und willkürlich verhaften lässt. Amnesty International geht aktuell (Stand 27. März 2012) von 15 politischen Häftlingen aus (eine Zusammenfassung finden Sie hier). Die Zustände in den Gefängnissen sind katastrophal. Allein im Jahr 2011 wurden 136 Fälle von Folter in Haftanstalten bekannt, drei davon führten zum Tod der Gefangenen (siehe hier: Antwort auf Frage 14 der Kleinen Anfrage). Freie Medien und eine freie Presse gibt es nicht – stattdessen werden JournalistInnen und BloggerInnen massiv in ihrer Arbeit behindert oder verfolgt. Selbst Aktivitäten etwa bei facebook oder twitter führen zu Verhaftungen und langen Haftstrafen. Ein Zustand, den die Organisation Reporter ohne Grenzen regelmäßig anprangert, ohne dass sich etwas verbessert (die anlässlich des Song Contest von Reporter ohne Grenzen ins Leben gerufene Webseite finden Sie hier). Homosexuelle werden geächtet und diskriminiert und es kommt immer wieder zu polizeilichen Übergriffen und Verhaftungen (siehe die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes (unter: Besondere strafrechtliche Bestimmungen)). Um Platz für die Austragungshalle des Song Contest zu machen und um andere architektonische und städtebaulichen Protzereien verwirklich zu können, werden Menschen aus ihren Häusern verjagt und diese kurzerhand abgerissen (siehe den Bericht von Human Rights Watch sowie eine Reportage von Spiegel Online). Faire und rechtsstaatliche Gerichtsverfahren bekommen all jene Leute nicht. Wer im Strafrecht oder Verwaltungsrecht in irgendeiner Form mit dem Staatsapparat konfrontiert wird, wird von einer politisch gelenkten Justiz rasch aus dem Verkehr gezogen.

 

Diese Auflistung von Menschenrechtsverletzungen könnte sehr klang weitergehen, viele Informationen findet man dazu im Netz. Ich habe mich aufgrund der bedrückenden Lage am 29. Februar mit dem aserbaidschanischen Botschafter in Berlin, Herrn Parviz Shahbavoz, getroffen (meine Pressemittelung zu diesem Treffen finden Sie hier). Was soll ich sagen. Einem berechtigten Vortrag über die Verbrechen an Teilen der aserbaidschanischen Bevölkerung durch armenisches Militär im Zuge des Konflikts um Berg-Karabach folgte schnell eisiges Schweigen, als ich die Menschenrechtsverletzungen seiner Regierung an seinem eigenen Volk thematisierte. Zum Abschied überreichte ich ihm das von mir in Auftrag gegebene T-Shirt, in dem in aserbaidschanischer Sprache das Wort „Menschenrechte“ steht und mit dem zugleich demonstriert, aber auch die Liebe zum Eurovision Song Contest zum Ausdruck gebracht werden kann (alle Informationen zu der T-Shirt-Aktion finden Sie hier).

 

Eine konkrete Zusage jedoch machte mir Botschafter Shahbavoz: dass Gegenveranstaltungen zum Song Contest ungehindert durchgeführt werden könnten. Daran muss er sich messen lassen und daran werde ich ihn erinnern. Denn das wundervolle Projekt „sing for democracy“ konnte trotz europäischer Unterstützung und großen Engagements bislang kein wirkliches Programm auf die Beine stellen. Die Verhinderungsmethoden des Regimes sind raffiniert und perfide; natürlich wird die Veranstaltung nicht offiziell verboten, ihre OrganisatorInnen und deren Familien aber werden bedroht, öffentliche Plätze und Hallen sind nicht verfügbar oder werden spontan mit einer Baustelle besetzt und selbst Hotels haben plötzlich keinerlei Veranstaltungsräume oder Zimmer mehr frei.

 

Und die Bundesregierung? Gibt zwar teilweise offenherzige Antworten auf meine Kleine Anfrage hin, hält sich sonst aber vornehm zurück. Einzig ihr couragierter Menschenrechtsbeauftragter Markus Löning kritisiert das diktatorische Regime von Ilham Alijew und die Zustände im Land. Außenminister Westerwelle und Bundeskanzlerin Merkel aber halten sich vornehm zurück (meine Pressemittelung zum Besuch des Außenministers in Aserbaidschan finden Sie hier). Wenn es um handfeste wirtschaftliche Interessen geht, ist sich die schwarz-gelbe Bundesregierung offenbar für keinen Kotau zu schade.

 

Im Gegensatz dazu hat der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages am 9. November 2011 eine gemeinsame Entschließung (hier) aller fünf Fraktionen verabschiedet, in dem Aserbaidschan aufgefordert wurde, endlich seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen, die sich das Land durch seinen Beitritt zum Europarat und zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) selbst auferlegt hat. Doch das Regime fürchtet sich nach wie vor dem Besuch des Sonderberichterstatters für politische Häftlinge in Aserbaidschan, meinem Kollegen Christoph Strässer, MdB und verweigert ihm die Einreise. Lieber bricht Ilham Alijew ein ums andere Mal das Völkerrecht, als die Standards in seinem Land zu verbessern. Stattdessen bekamen alle Abgeordneten des Menschenrechtsausschusses bereits während der Schreibphase zu dem Entschließungsentwurf bitterböse und seitenlange Briefe aus der aserbaidschanischen Botschaft, in denen KritikerInnen des Landes verleumdet und der Ausschuss dazu aufgefordert wurde, eine solche Entschließung nicht zu verabschieden. Woher die Botschaft wusste, dass die MitarbeiterInnen der Fraktionen an einem Entwurf arbeiteten, ist rätselhaft und besorgniserregend.

 

Ach ja: Vor dem Hintergrund aller schrecklicher, ernster und bedenkenswerter Nachrichten aus Aserbaidschan sollte man eines auch nicht vergessen: Beim Eurovision Song Contest werden viele tolle Künstlerinnen und Künstler vom gesamten europäischen Kontinent auftreten, die mit dem Regime von Alijew nicht das geringste Bisschen am Hut haben. Ich wünsche ihnen allen – vor allem natürlich dem Vertreter Deutschlands Roman Lob – viel Erfolg und Spaß. Besonders freuen würde mich, wenn einige der Aktiven den Song Contest dazu nutzen würden, für die Einhaltung der Menschenrechte in Aserbaidschan öffentlich einzutreten. Sowohl Roman Lob, als auch den drei Mitgliedern der Jury von „Unser Star für Baku“ (Alina Süggeler, Thomas D. und Stefan Raab) habe ich eines der T-Shirts geschenkt. Ob sie es tragen werden, weiß ich nicht. Eine Antwort habe ich bislang nicht erhalten. Es wäre schön, wenn von prominenter Seite mehr nachdenkliche Töne geäußert würden. Denn der richtige Ort für eine unbeschwerte Party ist Baku nun wirklich nicht.

 

Die wichtigsten Links noch einmal hier:

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Volker Beck et al.: Bundestagsdrucksache 17/9043

Englische Übersetzung der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage

T-Shirt „Baku 2012 – insan hüquqları (human rights)“

Pressemitteilungen von Volker Beck zu Aserbaidschan vom 11. Januar 2012, 15. Februar 2012, 1. März 2012 und 14. März 2012

Aktueller Bericht von Amnesty International (deutsch)

Homepage „Pressefreiheit für Baku“ von Reporter ohne Grenzen (ROG)

Bericht von Human Rights Watch: „Aserbaidschan: Zwangsräumung zur Stadtverschönerung“

Gemeinsame Erklärung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur menschenrechtlichen Situation in Aserbaidschan

Projekt „Sing for Democracy“

2 Gedanken zu „Eine unbeschwerte Party ist in Baku nicht möglich

  1. Grigoryan

    Sehr geehrter Herr Beck,
    Danke Ihnen für den nüzlichen Artikel.

    Ich empfehle Ihnen sehr, sich (ausser einen „berechtigten Vortrag“ des aserbaidschanischen Botschafters) mit dem Berg-Karabach-Konflikt und dessen Geschichte sowie mit dem Krigsablauf vertraut zu machen.
    Dazu: http://www.maragha.org http://www.nkrusa.org http://www.haut-karabakh.com http://www.baku.am http://www.eucfa.eu

    Ich werde mich auf Ihre Rückmeldung feuen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Harutyun Grigoryan

  2. Pingback: Volker Beck kritisiert Grass-Gedicht

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