Thesen zum kirchlichen Arbeitsrecht

Vorschläge für Reformüberlegungen für die Kommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ beim Bundesvorstand Bündnis 90 / DIE GRÜNEN:

Thesen zum kirchlichen Arbeitsrecht

Persönliche Loyalitätspflichten, kirchlicher Tendenzschutz und der Dritte Weg stehen aus unterschiedlichen Gründen in der Kritik.

Das Grundgesetz schützt das kirchliche Selbstbestimmungsrechts auf Grundlage von Art. 137 Absatz 3 der Weimarer Reichsverfassung, der gemäß Art. 140 in das Grundgesetz der  Bundesrepublik Deutschland inkorporiert ist:

„Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.“

Die Reichweite dieses Selbstbestimmungsrecht gilt nicht unbeschränkt, sondern „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes.“ Die Artikel aus der Weimarer Reichsverfassung sind mit Artikel 140 Grundgesetz Teil der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geworden. Sie sind aber im Lichte dieser Verfassung und ihrer Prinzipien, der Menschenwürde, den daraus resultierenden Grundrechten und dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip, neu zu interpretieren. Aus konkurrierenden Verfassungsbestimmungen, u.a. dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG), dem Recht auf Religionsfreiheit der kirchlich Beschäftigten (Art. 4 GG) oder dem Recht auf Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) und dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit lassen sich verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch Schranken für den Begriff des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes herleiten.

Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht geht auf die Paulskirchenverfassung von 1849 zurück. Es ist auch ein Bollwerk gegen staatlichen, religionspolitischen Einfluss auf die Kirchen als Teil der Zivilgesellschaft. Es ist Ausdruck der kollektiven Glaubensfreiheit und ein Bollwerk gegen eine staatliche Religionspolitik, für die es in der deutschen Geschichte unrühmliche Beispiele gibt. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist somit auch Ausdruck einer verfassungsrechtlichen Verankerung des Prinzips der Trennung von Staat und Kirche und konstituiert einen grundrechtlich geschützten Freiheitsraum für die Religionsgemeinschaften.

Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Art. 140 GG stammen aus einer Zeit, in der ein Großteil der Bevölkerung den beiden großen Kirchen angehört hatte. In der Weimarer Republik richteten sich die kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen mit ihren Angeboten vorwiegend an die eigenen Mitglieder. Mit der Einführung des Subsidiaritätsprinzips in den 60-er-Jahren ging ein Großteil der Wohlfahrtseinrichtungen in kirchliche Trägerschaft über. Nach dem Beitritt der neuen Länder wurde das Subsidiaritätsprinzip auch auf die neuen Länder übertragen.

Bündnis 90/DIE GRÜNEN halten eine plurale Trägerlandschaft für wichtig und schätzen den Beitrag der Religionsgemeinschaften hierzu.

Neben der konkreten Ausgestaltung des Selbstbestimmungsrechtes ist eine gegenläufige Entwicklung eine Quelle der Kritik:

–        Seit den ersten Jahren der Bundesrepublik haben die beiden Kirchen eine große Zahl von Mitgliedern verloren und sind Millionen von Muslimen, aber auch Angehörige zahlreicher anderer Religionen, z.B. Jesiden, Hindus, Buddhist*innen, Baha’i zugewandert.

–        Aufgrund von Finanz- und Organisationskraft haben kirchliche Wohlfahrtseinrichtungen eine beherrschende Stellung in vielen Bereichen erreicht. In ländlichen Gegenden haben die kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen oftmals nahezu einen Monopolcharakter. Heute klaffen der tatsächliche Bedarf an religiös geprägten Sozialeinrichtungen, wie er sich näherungsweise am jeweiligen Bevölkerungsanteil ablesen lässt, und der reale Bestand solcher Einrichtungen eklatant auseinander.

–        Für nicht kirchlich gebundene Arbeitnehmer*innen in sozialen und medizinischen Berufen entsteht dadurch der Eindruck, auf diesem Markt nicht die gleichen Chancen und Möglichkeiten zu haben.
Für die Nutzer*innen von Wohlfahrtseinrichtungen entsteht der Eindruck, es herrsche keine echte Trägerpluralität.

Wir wollen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten: Wir respektieren das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und wollen die Grundrechtspositionen aller Bürger*innen, auch die der konfessionsfreien oder andersgläubigen, wahren.

Reformüberlegungen:

  1. Die persönlichen Loyalitätspflichten außerhalb der Verkündigung, insbesondere wie sie von der römisch-katholischen Kirche in der Vergangenheit bei wiederverheiratet Geschiedenen und Homosexuellen praktiziert wurden[i], sind unverhältnismäßig. Sie beziehen sich nicht allein auf die nach den Regeln der Religionsgemeinschaft auszuübenden Tätigkeit im kirchlichen Dienst, sondern auf die Einhaltung von doktrinären Regeln in der privaten Lebensführung, deren Gültigkeit eine Mehrheit der Gläubigen und ein wachsender Anteil der Verkünder des Glaubens öffentlich bezweifelt. Sie beschränken das Recht auf Privatleben und auf persönliche Glaubensfreiheit der Beschäftigten und verstoßen gegen das Benachteiligungsverbot. Wir wollen sie durch Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und der arbeitsrechtlichen Antidiskriminierungsrichtlinie (Richtlinie 2000/78/EG) beseitigen.
  2. Nach Vorstellung der Kirchen gilt: „Ein Angestellter in einer kirchlichen Einrichtung hat tatsächlich am Verkündigungsauftrag der Kirche Anteil. Das meint vor allem, dass jeder Christ und jede kirchliche Einrichtung als Ganze vom christlichen Glauben im ganz alltäglichen Handeln Zeugnis ablegen.“[ii] Auch erwarten Eltern, die ihre Kinder in Ausübung ihres religiösen Erziehungsrechtes in einen konfessionellen Kindergarten geben, dass ihre Kinder im Glauben und Tradition ihrer Religionsgemeinschaft erzogen werden. Die Kirchen verlangen daher von ihren Mitarbeitern die Zugehörigkeit zur eigenen Konfession oder zu einer christlichen Glaubensgemeinschaft. Das ist grundsätzlich zu respektieren, solange der Anteil von Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft dem tatsächlichen Bedarf an solch konfessionell getragenen Einrichtungen entspricht. Durch den Mitgliederschwund der Kirchen und der starken Stellung kirchlicher Einrichtungen gibt es hier ein gesellschaftliches Spannungsverhältnis, das wir im Dialog mit den Kirchen auflösen wollen.

Eine Lösung könnte sein, die Zahl kirchlicher Einrichtungen, die dem kirchlichen Tendenzschutz unterliegen, am Anteil der jeweiligen Konfession in der Bevölkerung zu orientieren.[iii] Die übrigen Einrichtungen könnten zwar weiter von Caritas oder Diakonie betrieben werden, dürften aber bei der Personalauswahl nicht mehr nach Religionszugehörigkeit bei ihren Beschäftigten differenzieren.

  1. Mit dem Dritten Weg haben die verfassten Kirchen in Deutschland für den überbetrieblichen Bereich ein eigenständiges kollektives Arbeitsvertragsrecht geschaffen, das die Grundlagen des Tarifsystems abweichend vom geltenden Tarifvertragsrecht regelt. Arbeitskampfmaßnahmen (Streiks und Aussperrungen) sind nicht vorgesehen.

Nach neuer Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.11.2012 müssen Gewerkschaften in die Verfahren der paritätisch besetzten Kommissionen zur Regelung der Arbeitsbedingungen „organisatorisch eingebunden“ werden. Nur wenn diese Einbindung gegeben ist und das Verhandlungsergebnis für die Arbeitgeberseite als Mindestarbeitsbedingungen verbindlich sind, dann sind Arbeitskampfmaßnahmen ausgeschlossen. (BAG – 1 AZR 179/11 –)

Wir Grüne sind der Meinung: Das Streikrecht ist ein soziales Grundrecht, das mit dem Tendenzschutz und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht vereinbar ist.

Das Leitbild der Dienstgemeinschaft erfordert für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, dass die Wesensmerkmale des „Dritten Weges“, nämlich Parität, Partnerschaft, Gleichberechtigung und Unabhängigkeit ernstgenommen werden müssen.

Wo kirchliche Einrichtungen aufgrund des Kostendrucks im Sozial- und Gesundheitswesen auf Werkverträge oder Leiharbeit ausweichen oder den Dritten Weg für Lohndumping missbrauchen, verliert er seine verfassungsrechtliche Berechtigung im Rahmen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes.

 

[i] Presseerklärung Volker Beck 20.10.2014: „Die Deutsche Bischofskonferenz muss als Konsequenz aus der Familiensynode in Rom die Anwendung des kirchlichen Arbeitsrechtes zügig korrigieren.

Die Diskriminierung oder gar Kündigung von Lesben, Schwulen und wiederverheiratet Geschiedenen bei kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen ist unhaltbar geworden. Die persönlichen Loyalitätspflichten sind außerhalb des Bereiches der Verkündigungen ohnehin ein unverhältnismäßiger Übergriff auf das Privatleben der Angestellten. Vgl. a., Katholisch.de vom 19.10.2014 (abgerufen am 22.10.2014): http://www.katholisch.de/de/katholisch/themen/news/page_news.php?id=41438: „Auch wenn die Passagen zu Homosexualität und wiederverheirateten Geschiedenen im Schlussdokument der Synode an der geforderten Zweidrittelmehrheit gescheitert seien, wünsche „eine große Mehrheit der Bischöfe“ eine Änderung“.

Auf der Familiensynode hat eine Mehrheit der Bischöfe sich für einen anderen pastoralen Umgang mit Lesben, Schwulen und wiederverheiratet Geschiedenen entschieden, wenn auch die 2/3-Mehrheit verfehlt. Danach kann aber kaum mehr behauptet werden, dass Wiederverheiratete oder Homosexuelle etwa bei der Caritas die Glaubwürdigkeit des kirchlichen Dienstes beeinträchtigen.“

[ii] EKD-Website: http://www.ekd.de/ezw/Publikationen_2698.php (abgerufen am 22.10.2014)

[iii] Hierfür gibt es bereits Beispiele; Kolping Paderborn: „Die Kolping-Bildungszentren gGmbH ist eine kirchliche Einrichtung, muss aber nicht das kirchliche Arbeitsrecht anwenden. Dies hat die Apostolische Signatur, das höchste Gericht der römischen Kurie entschieden.“ http://kolping-paderborn.de/uploads/media/Rom_bestaetigt_Kirchlichkeit_Kolping.pdf

4 Gedanken zu „Thesen zum kirchlichen Arbeitsrecht

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