Rederecht der Abgeordneten darf nicht begrenzt werden

Plenarsaal des Bundestags. Foto von Gertrud K.. Lizenz: Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0)

Foto von Gertrud K. /// Lizenz: Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0) via Flickr

Entgegen allen Falschmeldungen und Behauptungen habe ich als Grünes Mitglied im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung gegen die beschlossenen Neuregelungen des Rederechts im Bundestag gestimmt. Wir sehen zwar auch Handlungsbedarf bei der Vergabe des Rederechts, die beschlossenen Änderungen sind aus unserer Sicht aber völlig undurchdacht und so nicht praktikabel. Wir befürworten ein Recht auf Kurzintervention gemäß § 27 Absatz 2 GOBT für alle AbweichlerInnen. Als Grüne können wir es aber nicht dulden, dass mit der Änderung persönliche Erklärungen nach §31 GO-BT von Abgeordneten zur Abstimmung grundsätzlich nur noch schriftlich abgegeben werden können. Das ist eine Beschneidung der Rechte der Abgeordneten.

Die Abstimmungen im Ausschuss vom 22.03.2012:

  • Zunächst wurde über unseren Antrag (dem sich die Fraktion Die LINKE. angeschlossen hatte), im Rahmen einer Auslegungsentscheidung zu § 27 Absatz 2 GOBT festzulegen, dass sog.  Abweichler STETS in den Genuss einer Kurzintervention gemäß § 27 Absatz 2 GOBTkommen sollen, abgestimmt. FÜR diesen Antrag stimmten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE. und die SPD. Die Koalition stimmte DAGEGEN. Der Antrag wurde also ABGELEHNT.
  • Danach wurde über folgende Änderung des § 31 Absatz 1 GOBT (neu) abgestimmt:
    „Nach Schluss der Aussprache kann jedes Mitglied des Bundestages zur abschließenden Abstimmung eine kurze schriftliche Erklärung abgeben, die in das Plenarprotokoll aufzunehmen ist. Anstelle der schriftlichen Erklärung nach Satz 1 kann der Präsident das Wort für eine mündliche Erklärung, die nicht länger als drei Minuten dauern darf, erteilen. Der Präsident erteilt das Wort zu einer Erklärung in der Regel vor der Abstimmung.“ [der letzte Satz wurde am 16.04.2012 ergänzt]
    FÜR die Änderung stimmten Koalition und SPD, DAGEGEN BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Die LINKE. Der Antrag wurde also ANGENOMMEN.
  • Danach wurde über die Änderung von § 35 Absatz 1 GOBT abgestimmt: In § 35 Absatz 1 wird folgender neuer Satz 2 eingefügt (die Sätze 2-4 werden dadurch zu den Sätzen 3-5): „Abweichend von dieser Vereinbarung kann der Präsident im Benehmen mit den Fraktionen weiteren Rednern gemäß den Grundsätzen des § 28 Abs. 1 das Wort für in der Regel drei Minuten erteilen.“ 
    FÜR die Änderung stimmten Koalition und SPD, DAGEGEN BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Die LINKE. Der Antrag wurde also ANGENOMMEN.

Die Grüne Position:
Wir, also die Grüne Bundestagsfraktion, sind damit in die Verhandlungen gegangen, dass wir eine Auslegungsentscheidung zu §27 Abs. 2 GO-BT fordern, in der klargestellt wird, dass Abweichler stets auf das Instrument der Kurzintervention zurückgreifen können. Dies hätte den Vorteil, dass eine Geschäftsordnungsänderung entbehrlich wäre, aber trotzdem einheitlich geklärt wäre, wie mit sog. Abweichlern umgegangen werden kann. Außerdem würde dadurch nicht die Diskussion um Redezeit für Abweichler missbraucht werden, um das Rederecht von Abgeordneten zu beschränken.

Die Änderungen des § 31 Abs. 1 GO-BT haben wir abgelehnt, weil insbesondere die schon bestehenden Regelungen eingeschränkt werden, insbesondere würde dadurch das Rederecht des Abgeordneten vorrangig zu einem schriftlichen Recht gemacht und der Regelfall Worterteilung VOR der Abstimmung umgekehrt (vgl. § 31 Abs. 1 § 30 Abs. 1 Satz 2 GO-BT lautet: „Der Präsident erteilt das Wort zu einer Erklärung in der Regel vor der Abstimmung.“). Ohne die angestrebten Änderungen stellt § 31 GO-BT durchaus einen gangbaren Weg des Umgangs mit „AbweichlerInnen“ dar.

Die Einfügung eines § 35 Abs. 1 Satz 2 (neu) GO-BT lehnen wir als unnötig ab.  Unklar ist zudem, ob mit dem Verweis auf § 28 GO-BT gemeint ist, dass alle Fraktionen noch einmal zu Wort kommen sollen. Ursprünglich wollte die Koalition die Redeerteilung vom Einvernehmen mit seiner Fraktion abhängig machen. Auch dies haben wir scharf kritisiert, weil

  1. nicht einsichtig ist, warum die Fraktion, aus der der Abweichler stammt, die also insgesamt MEHR Redezeit erhält, der Erteilung der zusätzlichen Redezeit zustimmen muss, während eine andere Fraktion, die im Verhältnis weniger Redezeit erhält, nicht zustimmen muss. (Beispiel: In der EFSF-Debatte am 29.09.2011 belief sich die den Abweichlern zusätzlich gewährte Redezeit auf 10 Minuten, mithin fast so viel wie die gesamte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zustehende Redezeit von 13 Minuten.)
  2. das Zustimmungserfordernis der jeweiligen Fraktion verfassungsrechtlich bedenklich ist, da es sich beim Rederecht grundsätzlich um ein Recht des Abgeordneten handelt, welches nach BVerfG nur nach Fraktionsstärken eingeschränkt werden kann, was hier gerade nicht der Fall ist:
    BVerfGE 10, 4 (16): „Vielmehr wird bei Festsetzung von Redezeiten für die Fraktionen gerade durch Bemessung dieser Zeiten nach der Fraktionsstärke erreicht, daß jeder Abgeordnete die gleiche Redebefugnis (die gleiche rechnerische Chance, zu Wort zu kommen) erhält, ohne Rücksicht darauf, welcher Fraktion er angehört.“
Der letzte Abschnitt wurde am 13.4.2012 modifiziert

4 Gedanken zu „Rederecht der Abgeordneten darf nicht begrenzt werden

  1. Gisela Malik

    Sehr geehrter Herr Beck,
    es ehrt Sie und Ihre Bündnispartei, dass Sie dem „Maulkorb“
    der Koalition für „Abtrünnige“ im Parlament nicht zugestimmt haben.
    Ich hatte damals großen Respekt vor Herrn Lammert, der entgegen
    der Interessen der Koalition Redeerlaubnis erteilt hatte.
    Er hat sich als wirklicher Demokrat erwiesen.
    Parlament kommt von „parlare“ = reden und nicht von „scrivere“
    =schreiben. Begreifen unsere Politiker nicht, dass die Bevölkerung allmählich die Nase gestrichen voll hat von all diesen Tricks, die angewendet werden, um die Rechte des Parlaments zu beugen bzw. die Leute auf Linie zu bringen.
    Die Abgeordneten sind ihrem G e w i s s e n verpflichtet und
    nicht der Franktion. Wenn alle über 600 Parlamentarier ein wenig
    mehr diesem Grundsatz folgen wollten, dann wäre alles anders,
    offener, projektbezogener und es könnte den Wind
    aus den Segeln der „Piraten“ nehemn. CDU/CSU, FDP und leider auch inzwischen die SPD haben soviel Glaubwürdigkeit verloren,
    dass aus Trotz Heerscharen von Wählern die Piraten wählen werden, weil es bald keine Alternative mehr gibt.
    Ich danke für Ihren Artikel und hoffe auch weiterhin auf die
    parlamentarische Vernunft der Grünen.
    MfG
    Gisela Malik

  2. generatoren

    Schon die fraktionsübergreifende Absprache zur proportionalen Anwesenheit im Parlament hat das Parlament marginalisiert. Es ist kaum noch transparent, wie die uns allen gemeine Rede den Abgeordneten der anderen Parteien zu überreden vermag. Hierzu zählt auch die unglückliche Sitzordnung, die auf große Distanz und Fraktionszugehörigkeit setzt. Ein Blick nach Großbritannien zeigt, dass es andere Raumordungen gibt, die die Persuasion unterstützen. Der Wählerzuspruch für die Piraten zeigt, dass die Hoffnung auf demokratische Partizipation mobilisierbar ist, aber nicht durch die Erhöhung der Hürde parlamentarischer Arbeit. Schon die 5%-Hürde und die zusätzliche Fraktionshürde legen die Latte für die parlamentarische Partizipation in Deutschland hoch. So führt die Fernsehübertragung der Parlamentssitzungen uns Bürgern ein entleertes Parlament vor Augen. Kein Wunder, dass Protestwähler auf mehr Demokratie setzen wollen.

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  4. Alexander Illi

    Einige öffentliche Klarstellungen VOR dem Einsetzen des Mediensturms hätte Vermutungen und Falschmeldungen Einhalt gebieten können.

    So erweckte es zunächst oberflächlich eher den Anschein, als sei die Zivilcourage erst nach Erscheinen solcher Umfragen aufgekommen:
    http://umfrage.tagesschau.de/umfrage/poll_dbdata.php?oid=rederecht102

    Als Mitglied sowohl des „Ältetenrats“ als auch des „Geschäftsordungsausschusses“ hätten Sie frühzeitig Kenntnis und Gelegenheit dazu gehabt,
    ebenso bezüglich des rätselhaften Auftauchens und unvermittelten Absetzens am 29./30. März eines nicht weiter spezifizierten Vorhabens zur Änderung von Artikel 93 des GRUNDGESETZES auf der Tagesordnung des Bundestages.
    Auch dazu haben Sie im Nachhinein getwittert.

    Hatten Sie die Gefährdung, in welcher viele derzeit die demokratischen Institutionen unserer Republik zunehmend wähnen/ sehen etwa unterschätzt?

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