Das Grundgesetz kann man nicht geheim ändern

Vergangene Woche ist eine neue Verschwörungstheorie entstanden, die sich sehr hartnäckig hält. Angeblich möchte der Bundestag den Zugang der BürgerInnen zum Bundesverfassungsgericht einschränken. Großer Unfug! Tatsächlich gibt es einen Konsens aller im Bundestag vertretenen Parteien, den Rechtsschutz im Wahlrecht zu verbessern. Mein Kollege Jerzy Montag ist in der Grünen Bundestagsfraktion für dieses Thema zuständig und hat dankenswerter Weise zu all den Verschwörungstheorien nun eine Klarstellung formuliert, die ich hier zur Verfügung stellen möchte:

Klarstellung

offensichtlich haben die „Deutschen Mittelstands Nachrichten“ am 29.3. und danach auch noch „radio-utopie“ wahrhaftig utopische Falschmeldungen in die Welt gesetzt, die dann fleißig, aber ohne sie gegen zu prüfen, munter und voller Empörung weiter verbreitet worden sind.

Hier die Fakten von einem, der von Anfang an dabei war:

  1. Seit Monaten treffen sich Abgeordnete von CDU/CSU, SPD, FDP und von den Grünen, um darüber zu beraten, wie Bürgerinnen und Bürgern im Zusammenhang mit der Bundestagswahl MEHR Rechte verschafft werden können.Es geht konkret um Parteien, die nicht zur Wahl zugelassen werden, um Landeslisten und DirektkandidatInnen, die zurück gewiesen werden und um WählerInnen, die sich nicht auf den Wahllisten finden und deshalb nicht wählen können.Zwischen den Fraktionen kam es zu einer Einigung, die den BürgerInnen mehr Rechte zugesteht.  Daraus wurden zwei Gesetzentwürfe, die am Mittwoch, den 28.3. im Rechtsausschuss und am Freitag, den 30.3. im Plenum in erster Lesung hätten beraten werden sollen.Eines der beiden Gesetze beinhaltet eine Grundgesetzänderung. Art. 93 GG soll ERWEITERT werden. Parteien, die nicht zur Wahl zugelassen werden, sollen noch vor der Wahl vor dem Bundesverfassungsgericht klagen können. Dazu muss das GG geändert werden.Mit dem zweiten Gesetz sollen die Rechte von ListenkandidatInnen, DirektkandidatInnen und WählerInnen verbessert werden.Am Mittwoch, den 28.3. vor dem Rechtsausschuss hat die CDU/CSU plötzlich noch weiteren Diskussionsbedarf angemeldet, worauf die beiden Gesetzentwürfe von der Tagesordnung genommen worden sind.Es ist beabsichtigt, über die beiden Gesetze am 25.4. und am 26. oder 27.4. im Bundestag zu beraten.Beide Gesetzentwürfe können ab Dienstag, den 3.4.2012 auf meiner home-page eingesehen werden.Von einem heimlichen Vorgehen kann keine Rede sein. Außerdem ist es falsch, dass die Rechte der BürgerInnen beschränkt werden sollen. Das Gegenteil ist der Fall!
  2. Völlig unabhängig von diesem Vorstoß der Fraktionen zu MEHR Rechtsschutz im Wahlrecht gibt es seit langer Zeit eine Debatte über die Belastung des Bundesverfassungsgerichts mit Verfassungsbeschwerden. In wenigen Jahren hat sich die Zahl der Beschwerden von ca. 3000 pro Jahr auf über 6000 erhöht.  Nur 2% der Beschwerden sind erfolgreich. Sehr viele sind unzulässig. Und es gibt Bürger – ich glaube fast nur Männer – die sich gehäuft beschweren. Die Spitze hält ein Bürger mit 782 Beschwerden. Es gibt etliche, die zwischen 50 – 100 Beschwerden einreichen. Dabei geht es um zB Briefmarken im Wert von unter 1 € oder um einen Rechtsanwalt, der gegen ein Fahrverbot vorgeht und dem Gericht eine Begründung von 1100 Seiten zum Lesen schickt.Das BVerfG arbeitet alle diese Beschwerden akribisch ab, auch die völlig sinnlosen und mutwilligen.  Es gibt zwar die Möglichkeit einer Missbrauchsgebühr, jedoch wird sie erst am Ende des Falles verhängt und kann oft nicht eingezogen werden. Sie bereitet also selbst wieder nur fruchtlose Arbeit.Deshalb wirbt das BVerfG seit Monaten für die gesetzliche Einrichtung einer Mutwillensgebühr, die Beschwerdeführer bei offensichtlich sinnlosen Beschwerden erst bezahlen müssen, eher das Gericht den Fall weiter bearbeitet.Der Präsident des BVerfG  hat diese Idee inzwischen in allen Fraktionen vorgestellt, am 26.3. auch bei uns Grünen. Es gibt aber in allen Fraktionen erhebliche Vorbehalte gegen eine solche neue Mutwillensgebühr, so dass ich im Moment nicht sehe, dass sich jemand im Bundestag dafür stark machen wird.Es gibt aber natürlich Diskussionen darüber, wie dem Bundesverfassungsgericht geholfen werden kann, damit es nicht so absäuft, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht in Strassburg, bei dem über 140 000 Fälle unbearbeitet liegen.
  3. Die Medien haben diese beiden Diskussionen durcheinander gebracht. Sie hätten dies mit etwas seriöser Recherche vermeiden können.Ich stehe jederzeit zur Verfügung, um klare und völlig transparente Auskünfte zu erteilen.

    Bitte wendet Euch bei Bedarf an das Büro von Jerzy Montag, MdB, Rechtspolitischer Sprecher der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

5 Gedanken zu „Das Grundgesetz kann man nicht geheim ändern

  1. Christian Pardey

    Wenn man sich die Beschaerden einmal näher ansieht, wird man folgenden Roten Faden finden: Die Europa Richtlinien werden nicht eins zu eins umgesetzt. Teilweise wiedersprechen sich EU-Vorgaben und deutsche Gesetzgebung, eine Vielzahl der Klagen würden dann auch schon beim Verfassungsgericht wegfallen. Die Politik wartet mit der Umsetzung immer bis zum allerletzten Termin bevor auch nur der Ansatz zuerkennen ist, dass überhaupt etwas passiert.

  2. Thomas

    @Christian, die Geschichte hat nichts mit der EU zu tun. Nicht alles was in Deutschland passiert, geht auf die EU zurück. Und noch mal für alle zum mitsingen: „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gehört nicht zur EU, sondern zum Europarat.“

  3. Tobias

    zu 1)
    Es ist von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen die Rede, aber was ist mit der Linken? Haben die eine Beteiligung abgelehnt oder wurden die nicht zur Teilnahme eingeladen?

    zu 2)
    Ist es nicht möglich das BVerfG kurzfristig mit den notwendigen personellen Mitteln auszustatten um die Ablehnung dieser Beschwerden bewältigen zu können? Immerhin ist so eine Beschwerdeschrift sehr viel schneller gelesen und abgelehnt als geschrieben, was den Massenbeschwerdeführern bei schneller Bearbeitung dann auch auffallen sollte.

  4. Stephen Falken

    Liebe Abgeordnete,
    irgendwie scheint mir Ihr Blickwinkel nicht ganz klar. Wenn beim EuGH 140000 unbearbeitete Fälle liegen und auch das BVerfG „absäuft“, scheint es doch einen erheblichen Bedarf beim Bürger nach grundsätzlicher Gerechtigkeit zu geben, die aus der Sicht der Beschwerdeführer nicht in den unteren Instanzen geregelt werden konnte. Nicht alle werden unsinnig und nutzlos sein. Systemanalytisch betrachtet scheinen mir diese Zahlen eben eher auf Fehlentwicklungen des Gerichtssystems insgesamt hinzuweisen. Eine Beschränkung des Zugangs würde demzufolge zu weiteren Bevorzugung priviligierter Mitbürger und damit zu noch weniger Gerechtigkeit führen. Eine Aufstockung des Gerichtspersonals würde entsprechend das Problem nur temporär lösen.
    Müsste ein wirklicher Lösungsansatz nicht lauten:“Warum finden unsere Bürger in Ihren Augen immer weniger Gerechtigkeit in den unteren Instanzen?“. Vielleicht trauen wir uns auch heute mehr als früher, wer weiß. Vielleicht sollten die Prämissen des Rechts- und Gerichtssystems einmal überprüft werden?
    Mir kommt da das Bild aus der Presse in Erinnerung bei dem sich der Richter vor Herrn Ackermann von der Deutschen Bank verneigt in Erinnerung. Warum beispielsweise wird ein Dieb (Strafrecht) der einen Minimaldelikt begeht immer noch härter bestraft als ein Wirtschaftsverbrecher (kein Strafrecht)? Gerechtigkeit gibts wenn überhaupt für „die Großen“….

  5. Christian Pardey

    Hallo,
    ich erlaube mir in dieser Sache nochmals einen Komentar abzugeben.
    Wegen einer Krankmeldung die im Landgericht Hildesheim nicht zu den Akten gelangt ist, wurde eine Berufung verworfen. Laut EUMR Entscheidung ist dieser Vorfall ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Urteil aus 2012. Das Wiederaufnahmeverfahren wurde vom AG Gifhorn mit der Begründung verwiesen , jeder müsse selbst vor dem EGMR eine Entscheidung herbeiführen. Dieses war bis zum BGH durchgängig Rechtsauffassung. Das BVG lies eine Verfassungsbeschwerde nach 93b + 93a nicht zu. Gegen diesen Rechtsvortrag habe ich Heute erneute Verfassungsbeschwerde eingreicht, weil keinerlei sonstige Begründung erfolgte. Ein rechtliches Gehöhr nach Art. 103 GG sieht anders aus.Ich habe daher beantragt die §§ 93 ff BVerfG als verfassungswidrig einzustufen. Aktenzeichen teile ich noch mit.

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