Die Freiheit des (Christen)Menschen und die Sexuallehre der römisch-katholischen Kirche

Der Papst vermag in seiner (Menschenrechts)Politik nicht zwischen der althergebrachten Sexuallehre und der römisch-katholischen Kirche zu unterscheiden. Da wo der Vatikan seine Vorstellungen von Familienrecht und Sexualpolitik zur Grundlage der für alle geltenden Gesetze zu machen sucht, verletzt er auch die negative Glaubensfreiheit aller derjenigen, die nicht an die Lehren seiner Kirche glauben können oder wollen.

Das II. Vaticanum war weiter als das Lehramt heute

Rom war schon einmal weiter. Das 2. Vatikanische Konzil hat in seiner großen Erklärung zur Religionsfreiheit DIGNITATIS HUMANAE erstmals die theologische Bedeutung der Glaubensfreiheit für die Kirche formuliert.

„Weil die Menschen Personen sind, d.h. mit Vernunft und freiem Willen begabt und damit auch zu persönlicher Verantwortung erhoben, werden alle – ihrer Würde gemäß – von ihrem eigenen Wesen gedrängt und zugleich durch eine moralische Pflicht gehalten, die Wahrheit zu suchen, vor allem jene Wahrheit, welche die Religion betrifft. Sie sind auch dazu verpflichtet, an der erkannten Wahrheit festzuhalten und ihr ganzes Leben nach den Forderungen der Wahrheit zu ordnen. Der Mensch vermag aber dieser Verpflichtung auf die seinem eigenen Wesen entsprechende Weise nicht nachzukommen, wenn er nicht im Genuss der inneren, psychologischen Freiheit und zugleich der Freiheit von äußerem Zwang steht. Demnach ist das Recht auf religiöse Freiheit nicht in einer subjektiven Verfassung der Person, sondern in ihrem Wesen selbst begründet. So bleibt das Recht auf religiöse Freiheit auch denjenigen erhalten, die ihrer Pflicht, die Wahrheit zu suchen und daran festzuhalten, nicht nachkommen, und ihre Ausübung darf nicht gehemmt werden, wenn nur die gerechte öffentliche Ordnung gewahrt bleibt.“

Diese Erkenntnis auf die Menschen homosexueller Identität angewandt, muss ihnen auch die Dimension eröffnen, „von ihrem eigenen Wesen gedrängt und zugleich durch eine moralische Pflicht gehalten“, ihr Leben so zu gestalten, wie es ihr Wesen und ihre Moral verlangt – bis hin zur Eheschließung mit ihrem gleichgeschlechtlichen Partner. Denn so das Konzil weiter:

„Gott ruft die Menschen zu seinem Dienst im Geiste und in der Wahrheit, und sie werden deshalb durch diesen Ruf im Gewissen verpflichtet, aber nicht gezwungen. Denn er nimmt Rücksicht auf die Würde der von ihm geschaffenen menschlichen Person, die nach eigener Entscheidung in Freiheit leben soll. … Christus …. lehnte es ab, ein politischer Messias zu sein, der äußere Machtmittel anwendet.“

Stattdessen läuft die Kirche gegen Diskriminierungsschutz für LGBT, gegen rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaft in jeder Form und die Öffnung der Ehe für Homosexuelle Sturm. Bei der Strafbarkeit homosexueller Handlungen taktiert sie.

Eigenes Wesen, moralische Pflicht, Gewissen, die Kategorien, vor denen sich das II. Vaticanum auch bei Nicht-Katholiken in Respekt verneigt? – Fehlanzeige!

Homosexuelle Handlungen werden „objektiv als ungeordnet“ diffamiert: Ende der Durchsage!

Daraus leitet Ratzinger das Infragestellen grundsätzlicher Menschenrechte für homosexuelle Menschen:

„Abgesehen von den anderen Rechten haben alle Menschen das Recht auf Arbeit, auf Wohnung usw… Doch nichtsdestoweniger sind dies keine absoluten Rechte. Sie können aufgrund eines Verhaltens, das objektiv als ungeordnet zu bezeichnen ist, zu Recht eingeschränkt werden.“

Offen ruft Rom zur Diskriminierung homosexueller Personen auf:

„Es gibt Bereiche, in denen es keine ungerechte Diskriminierung ist, die sexuelle Veranlagung in Betracht zu ziehen, wie z.B. bei der Zuweisung von Kindern zur Adoption oder bei der Auswahl von Pflegeeltern, der Einstellung von Sportlehrern, oder im Militärdienst.“

Thomas von Aquins Naturrechtslehre ist keine geeignete Grundlage der Sexualethik

Die Sexualethik der katholischen Kirche fußt im wesentlich auf der Naturrechtslehre des Kirchenlehrers Thomas von Aquin, die er in der Schrift summa theologica formuliert:
„Der Theologe Thomas von Aquin fasste im 13. Jahrhundert die überlieferte christliche Sexualdoktrin zusammen und erklärte, Gott lasse Geschlechtsverkehr nur zu, wenn er erfolge:

• zum richtigen Zweck (dem der Fortpflanzung),
• mit der richtigen Person (dem Ehepartner) und
• in der richtigen Weise (durch Koitus).

Jede sexuelle Handlung, die nicht völlig diese dreifache Bedingung erfüllte, war „unnatürlich“ und sündhaft. …Die „Natur“ des menschlichen Geschlechtsverkehrs ist die Zeugung von Kindern.“
Von diesem Ausgangspunkt aus
„… ist jede sexuelle Handlung, die diesem Ziel nicht dient, „widernatürlich“, das heißt gegen den Willen Gottes gerichtet und sündig.“

„Die Schwere der Schuld betrifft die Abweichung vom Ziel, während die Schändlichkeit sich auf die Schamlosigkeit bezieht, die v.a. unter dem Gesichtspunkt der Sündhaftigkeit bewertet wird… Doch die Laster, welche der menschlichen Natur Gewalt antun, sind noch mehr zu verurteilen. Sie sind auf die Art der Zügellosigkeit zurückzuführen, die in einem gewissen Sinn den Exzess ausmacht – dies ist der Fall bei denen, die Genuss beim Verzehr von menschlichem Fleisch empfinden, oder sich mit Tieren paaren, oder im Falle der Sodomie.)… Bei den Sünden gegen die Natur, welche die natürliche Ordnung verletzen, wird Gott selbst in seiner Qualität als Ordner der Natur beleidigt.“ (Tomas von Aquin, Summa Theologica, II-)

Diese Sexuallehre, die allein Fortpflanzungsziel und Ehelichkeit als Kriterium kennt, geht an der Lebensrealität der Menschen vorbei. Diese scholastische Lehre denkt in erster Linie in Kategorien von Ordnung und Ziel der Sexualität, menschenrechtlich ist sie blind. Sie versagt, da, wo es um Vergewaltigung, Nötigung und Missbrauch geht.

Die Frage muss erlaubt sein, welchen Anteil diese Sexuallehre am jahrelangen Vertuschen sexueller Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche hat.

Eine Sexualethik muss die Verwirklichung und den Schutz des sexuellen Selbstbestimmungsrechtes der Menschen in den Mittelpunkt stellen. Will Rom hier wieder von den Menschen gehört werden, müsste es seine Lehre von den Kopf auf die Füße stellen.

Aber auch wenn die Kirche ihre Sexuallehre erst in Jahrhunderten reformieren sollte, wäre es ein Fortschritt, sie würde gegen eine (menschen-)rechtliche Ordnung, die dem Geist der Aufklärung, dem Rechtsgüterschutz und der Gleichheit vor dem Gesetz verpflichtet ist, nicht länger ihren Widerstand entgegenstellen.

Noch einmal das von den Piusbrüdern geschmähte Konzil:

„Gewiss ist bisweilen im Leben des Volkes Gottes auf seiner Pilgerfahrt – im Wechsel der menschlichen Geschichte – eine Weise des Handelns vorgekommen, die dem Geist des Evangeliums wenig entsprechend, ja sogar entgegengesetzt war; aber die Lehre der Kirche, dass niemand zum Glauben gezwungen werden darf, hat dennoch die Zeiten überdauert.“

Diese Freiheit vom Zwang in Lebensführungs- und Glaubensfragen muss dann auch jede Rechtsordnung widerspiegeln, d.h. sie darf sich gerade nicht bzw. nicht vordringlich an den Vorstellungen der kirchlichen Lehre orientieren:

Der Papst könnte aus Dignitatis humanae viel lernen – auch für seinen zivilgesellschaftlichen Umgang mit Schwulen, Lesben und Transgendern – selbst wenn er an den kruden Sexualvorstellungen der katholischen Kirche festhielte. In Zeichen der Wiedervereinigung mit den Lefebvreisten, die das II. Vaticanum ablehnen, wahrscheinlich eine unwahrscheinliche Erwartung an Rom.

Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

4 Gedanken zu „Die Freiheit des (Christen)Menschen und die Sexuallehre der römisch-katholischen Kirche

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