Archiv für den Autor: Volker Beck

Vorwärts nimmer – rückwärts immer!

Unfähig und nicht auf der Höhe der Zeit: Dieses Zeugnis hat der Bundesrat in seiner heutigen Sitzung der schwarz-gelben Regierungskoalition mit Zustimmung aus der Union ausgestellt.

Peinlich für die Koalition und gut für die Bürgerrechte ist es, dass der Bundesrat das Lobbyistenprojekt des schwarz-gelben Meldegesetzes gestoppt hat.

Bei Frauenquote, Betreuungsgeld und gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaft regiert Schwarz-Gelb gegen die gesellschaftliche Wirklichkeit. Damit wird die Alternative bei der Bundestagswahl gesellschaftspolitisch immer klarer: Gleichberechtigung und Modernisierung oder zurück in die 50er-Jahre. Es entsteht immer mehr der Eindruck eines gesellschaftspolitischen Reformstaus – wie zum Ende der Ära Kohl. Damals war das Staatsangehörigkeitsrecht das Symbol für gesellschaftspolitischen Stillstand, heute sind es Gleichberichtigungsfragen.

Pussy Riot und die RAF – Geht’s noch, FAZ?

Wer solche unabhängigen Medien im Ausland hat, kann sich seinen eigenen Propagandaapparat fast sparen. Falls Wladimir Putin am 2. September durch Zufall die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in den Händen gehalten haben sollte, wird er sich vermutlich gefreut haben. In dem Artikel „Bomben aus der Spaßgerilja“ (ja, genau so geschrieben) war dort an prominenter Stelle auf Seite 3 zu lesen: „Vom Happening zum Terror – die RAF hat eine Vorgeschichte. Ihre Protagonisten stammten zum Teil aus der Künstlerszene. Die Idee, Gewalt anzuwenden, schwang jedoch von Anfang an mit. Parallelen zu den russischen Anarchisten, die jetzt so viel von sich reden machen.“

Soso. „Pussy Riot“ (und mit ihnen noch eine ganze Reihe anderer russischer Künstlerinnen und Künstler) sind also die Vorboten einer russischen RAF. Sie selber und ihre Nachfolger zweiter und dritter Generation werden vermutlich dutzende Gewalttaten verüben und Menschen töten. Das kann man jetzt schon sagen, denn: sie machen politische Kunst. Liebe FAZ, geht’s noch? Weiterlesen

Post an Wagner

Tja, Herr Wagner,

nun hatte ich mich schon so daran gewöhnt, dass seit 1969 homosexuelle Männer grundsätzlich nicht mehr für ihre Liebe ins Gefängnis kommen. Nun haben Sie mich mit Ihrer Kolumne daran erinnert, dass das in Deutschland nicht selbstverständlich ist. Aber Sie haben schon recht, solange es Schreiberlingen wie Ihnen bei dem Gedanken, unsere Partnerschaften wären gegenüber Partnerschaften von Mann und Frau gleichberechtigt, „unwohl“ wird, kann man nie ganz sicher sein, was die Zukunft bringen mag. Wer weiß, wie sich solche Vorurteile zukünftig politisch auswirken?

Mir dreht sich auch der Magen bei dem Gedanken um, dass Sie sich mit Ihren Zeilen wohl noch ganz demokratisch, tolerant und glorreich vorkamen. Nur so viel: Das Familienrecht denkt nicht wie der Besitzer eines Karnickelstalls. Es schützt Ehe und Familie als Freiheitsrechte- und –raum. Im Übrigen: unser Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht gebieten, Gleiches gleich zu behandeln. Da Lebenspartner und Ehegatten die gleichen Pflichten übernehmen, müssen sie auch die gleichen Rechte erhalten!

Was das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auch weiß, sich aber offensichtlich noch nicht bis in Ihre Redaktionsstube herumgesprochen hat: Es gibt Regenbogenfamilien (Homosexuelle Paare mit Kindern) und kinderlose Ehen. Deshalb besteht ihr platter Biologismus auch nicht den Faktencheck.

Trotzdem gute Besserung!

Ihr

Volker Beck

Appell an CSU: verfassungswidrige Ungleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft beenden!

20 Jahre nach der Aktion Standesamt, die auch ein 20 jähriges Ringen um Recht und Respekt für gleichgeschlechtliche Paare markieren, habe ich in einem Brief Horst Seehofer, Stefan Müller und Gerda Hasselfeldt die Hand gereicht und angeboten, die verfassungswidrige Ungleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft endlich gemeinsam zu beseitigen! Das Jahressteuergesetz 2013 ist eine gute Gelegenheit um einen verfassungskonformen Zustand im Steuerrecht herzustellen. Für eine Partei, die auf dem Fundament des Grundgesetzes steht, ist es eigentlich nicht denkbar, dass sie aus wahlpolitischen Erwägungen vorsätzlich einen verfassungswidrigen Zustand aufrecht erhält.

Berlin, 16. August 2012

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

mit diesem Schreiben möchte ich Ihnen meine Besorgnis darüber zum Ausdruck bringen, dass führende Vertreterinnen und Vertreter der CSU den Anschein erwecken, sie würden das Bundesverfassungsgericht gering schätzen oder gar ignorieren. Als Demokrat und Verfechter des Rechtsstaates irritiert mich dies und ich bitte Sie um Aufklärung.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Ungleichbehandlung lesbischer und schwuler Paare gegenüber Ehen wiederholt als Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes beanstandet. Just zum elften Jubiläum des Inkrafttretens des Lebenspartnerschaftsgesetzes am 1. August düpierte das Gericht zum dritten Mal und schon nach einer Woche zum vierten Mal die von Ihnen getragene Regierung, in dem es Sie bei der Gleichstellung von Homosexuellen zum Einlenken zwingt. Nun läuft in der Koalition eine kontroverse Diskussion über den gesetzgeberischen Umgang der drei Parteien mit den gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Weiterlesen

Bundestag: Free Pussy Riot!

Wie man auch bei SPIEGEL ONLINE lesen kann, ist es uns – gemeinsam mit der Kollegin Marina Schuster (FDP) und den Kollegen Frank Heinrich (CDU) und Christoph Strässer (SPD) – gelungen, auch in der Sommerpause ein starkes Signal an die russische Botschaft zu senden. Insgesamt 121 Abgeordnete aus allen Fraktionen, von CDU bis Linke, haben die interfraktionelle Initiative unterstützt. Das zeigt, wie groß der Unmut über den Prozess gegen Pussy Riot auch im Bundestag ist. Der Bundestag zeigt damit, dass er das unverhältnismäßige Vorgehen der russischen Justiz gegen die Kunstaktionen von Pussy Riot als politisch motivierten Einschüchterungsversuch versteht.

Brief Deutscher Bundestagsabgeordneter an russischen Botschafter (pdf)

German MP’s letter to the Russian ambassador – English version (pdf)

Немецкий депутат в письме послу России – на английском языке (PDF)

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Warum ich dem Antrag „Rechtliche Regelung der Beschneidung minderjähriger Jungen“ im Bundestag zugestimmt habe

Im Bundestag habe ich heute dem Antrag „Rechtliche Regelung der Beschneidung minderjähriger
Jungen“ (Drucksache 17/10331)
zugestimmt. Hier finden Sie meine Erklärung zur Abstimmung gemäß §31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (gemeinsam mit Renate Künast, Claudia Roth, Katrin Göring-Eckardt, Ekin Deligöz, Kertin Andreae, Marieluise Beck und Fritz Kuhn). Meine Plenarrede finden Sie als Video auf meiner Homepage www.volkerbeck.de

Erklärung nach §31 GO zum Zusatztagesordnungspunkt 1

Wir stimmen der Forderung an die Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist, zu.

Die Rechtsauffassung einer kleinen Strafkammer des Kölner Landgerichts hat zu tiefgreifender Verunsicherung bei Ärzten und jüdischen und muslimischen Eltern geführt. Bei der Beschneidung von Jungen handelt es sich um einen klassischen Grundrechtskonflikt, der im Wege der praktischen Konkordanz auszugleichen ist, wobei jede Grundrechtsposition optimal zu verwirklichen ist.

Eine Beschneidung ist tatbestandlich – wie jede Operation – eine Körperverletzung, die durch rechtswirksame Einwilligung gerechtfertigt werden kann und dann straffrei ist. Bei Minderjährigen handeln grundsätzlich die Eltern stellvertretend für das Kind und sind dabei an das Kindeswohl gebunden. Die Wahrung der körperlichen Unversehrtheit und das Recht des Kindes als vollwertiges und gleichberechtigtes Mitglied einer Religionsgemeinschaft aufzuwachsen, sind jeweils Aspekte des Kindeswohls. Der körperliche Eingriff bei einer Beschneidung ist ein irreversibler Eingriff mit niedriger Eingriffstiefe, soweit er medizinisch fachgerecht durchgeführt wird. Er wird zum Teil auch aufgrund von hygienischen und prophylaktischen Überlegungen durchgeführt. In den abrahamitischen Religionen ist das Beschneidungsgebot das erste und zugleich die Begründung des Bundes mit Gott. Daher ist es für Juden zentral und für die meisten Muslime unverzichtbar.

Der Staat muss bei einer rechtlichen Regelung darauf achten, dass die Beschneidung medizinisch fachgerecht von qualifizierten Fachleuten durchgeführt wird. Hierdurch verwirklicht er das Kindeswohl und schützt die Gesundheit des Kindes (Art. 2GG). Im Falle einer Illegalisierung der Beschneidung käme es sicher häufiger zu nicht fachgerechten Eingriffen durch unqualifizierte Beschneider. Dies gilt es zu vermeiden. Jüdischer Glaube, Islam und Christentum gehören zu Deutschland. Dies wollen wir heute mit unserer Abstimmung auch zum Ausdruck bringen.

Unterzeichnet von: Volker Beck (Köln), Renate Künast, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae, Marieluise Beck (Bremen), Fritz Kuhn, Claudia Roth (Augsburg)

Juden und Muslime in Deutschland brauchen Rechtssicherheit

Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung vom 9. Juli 2012

Ein Zwischenruf in der Debatte zur religiösen Beschneidung von Jungen

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

in den letzten Tagen erreichten uns viele Reaktionen auf unsere kritische Haltung zum Urteil einer kleinen Strafkammer des Kölner Landgerichts. Dieses sieht in der Beschneidung der Penisvorhaut (med. Zirkumzision) bei minderjährigen Jungen eine strafbare Körperverletzung, auch wenn die Einwilligung der Eltern religiös motiviert ist. Damit wurde eine Debatte befeuert, die Millionen von Menschen in Deutschland und weit darüber hinaus bestürzt und verunsichert. Diese – soweit uns bekannt – einmalige gerichtliche Entscheidung ist für andere Gerichte und die Staatsanwaltschaften in Deutschland nicht bindend. Sie schafft keine verbindlichen Verhaltensregeln in der Gesellschaft. Mit einem juristischen Kunstkniff (Freispruch für den angeklagten Arzt trotz angeblicher Strafbarkeit wegen eines zu entschuldigenden Verbotsirrtums) wurde eine höchstrichterliche Klärung verhindert.

In der Diskussion müssen die Auswirkungen rechtlicher Diskurse auf unsere multikulturelle Gesellschaft, in der wir Muslimas und Muslime willkommen heißen und uns über die Wiederkehr jüdischen Lebens nach Deutschland freuen, beachtet werden. Wir möchten Weiterlesen

FAQ Elterliche Mitverantwortung

Mit unserem Positionspapier MITVERANTWORTUNG SOZIALER ELTERN STÄRKEN legen wir als Fraktion erstmals ein Konzept vor, das de facto die Möglichkeit einer Mehrelternschaft eröffnet und anerkennt. Die Familienformen werden vielfältiger. Patchwork- und Regenbogenfamilien sind gelebte Realität in Deutschland. Das Familienrecht aber trägt dem in keiner Form Rechnung. Wir wollen mit unserem Vorschlag die Debatte eröffnen, wie das Zusammenleben in diesen Familienkonstellationen am besten im Sinne der Kinder zu gewährleisten ist. Unser Vorschlag schafft Rechtssicherheit für Eltern und Kinder. Das wirft aber auch Fragen auf, die ich hier beantworten möchte:

Warum wollt ihr ein neues Institut für Patchworkfamilien einführen? Weiterlesen

Das Gerede vom Schweigen ist Bullshit

Günter Grass sendet in allen relevanten Medien. Die Mär von der „Meinungsdiktatur“ ist Bullshit. (Foto: sebibrux)

Es ist vollkommen egal, ob man Catherine Ashton dafür kritisiert, dass sie in einem antisemitischen Reflex bei toten jüdischen Kindern in Frankreich offenbar relativierend versucht daran zu erinnern, dass in Gaza auch Kinder sterben,  oder Günter Grass ein als Gedicht verbrämtes „Man muss doch einmal sagen dürfen“ des antisemitischen Stereotyps eines vermeintlichen Tabus der Kritik an israelischer Politik kolportiert . Es dauert nicht lange, bis eine „unterdrückte Meinung“ zum lautstarken Shitstorm bläst. Man würde, so der friedensbewegte Bürger mit dem überzeugten Neonazi im Chor, in „Arschkriecherei für Israel“ sich dem „Klientel der Juden anbiedern“ und nur die „Kritik der gleichgeschalteten Medien nachplappern“ (Zitate aus Emails der letzten Tage). Selbst aus den Reihen der SPD wird in NPD-ähnlichen Formulierungen beklagt, dass man Israel nicht kritisieren könne, „ohne dafür mit der Antisemitismuskeule verdroschen zu werden und ein entsetztes Aufheulen der vermeintlichen Gutmenschen zu provozieren.”  Nun kann man von Henryk M. Broder halten was man will, er hat dies aber einmal so polemisch wie zynisch sehr treffend beschrieben: „Antisemitismus fängt bei sechs Millionen toten Juden an. Alles drunter ist Friedenspolitik.“ Weiterlesen

Rederecht der Abgeordneten darf nicht begrenzt werden

Plenarsaal des Bundestags. Foto von Gertrud K.. Lizenz: Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0)

Foto von Gertrud K. /// Lizenz: Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 2.0 Generic (CC BY-NC-SA 2.0) via Flickr

Entgegen allen Falschmeldungen und Behauptungen habe ich als Grünes Mitglied im Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung gegen die beschlossenen Neuregelungen des Rederechts im Bundestag gestimmt. Wir sehen zwar auch Handlungsbedarf bei der Vergabe des Rederechts, die beschlossenen Änderungen sind aus unserer Sicht aber völlig undurchdacht und so nicht praktikabel. Wir befürworten ein Recht auf Kurzintervention gemäß § 27 Absatz 2 GOBT für alle AbweichlerInnen. Als Grüne können wir es aber nicht dulden, dass mit der Änderung persönliche Erklärungen nach §31 GO-BT von Abgeordneten zur Abstimmung grundsätzlich nur noch schriftlich abgegeben werden können. Das ist eine Beschneidung der Rechte der Abgeordneten.

Die Abstimmungen im Ausschuss vom 22.03.2012: Weiterlesen